Heinz Scheibe hat viel erlebt im Leben. Jetzt stellt er seine Niederheimbach-Chronik dem Verein Dorfmuseum zur Verfügung.
Von Jochen Werner
Heinz Scheibe präsentiert seine Niederheimbach-Chronik – in mehreren Bänden.
(Foto: Jochen Werner)
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NIEDERHEIMBACH - Als Heinz Scheibe im Jahr 1953 als 25-Jähriger an den Mittelrhein kam, hatte er bereits so viel mitgemacht, dass es normalerweise für ein ganzes Leben reicht. Einen Teil seines Lebenswerks stellte der 90-Jährige in den letzten Jahren zusammen und vermachte es nun dem Verein Dorfmuseum, der ihm sehr am Herzen liegt. In mehreren Ordnern hat er seine gesammelten Werke zur Historie des Ortes zusammengestellt, quasi als eine besondere Chronik. Inklusive Anekdoten und „Stickelcher“. Dafür ernannte ihn der Vorstand mit Michael Dersch-Moritz und Norbert Engelmann zum ersten Ehrenmitglied des Vereins.
„Ich bin ein neugieriger Mensch“
„Ich bin ein neugieriger Mensch“, sagt Heinz Scheibe über sich. Ein Mensch, den irgendwann vor Jahrzehnten die Sammelleidenschaft gepackt hat. Der zu einer Jubiläumsfeier der Heimburg seiner Chronik ersten Teil vorstellen konnte. Danach kam eins zum andern, kamen viele Menschen zu ihm, die Texte und Bilder brachten. Scheibe sammelte, was ohne ihn längst verloren gegangen wäre. Die Familie hatte ihren Anteil. „Ich bin früher an fast jedem Sonntag statt zum Frühschoppen lieber mit meinen drei Kindern in den Märchenhain gegangen“, erinnert er sich. Mit der ehemaligen Niederheimbacher Attraktion war er verwachsen. Die Folge: Er schrieb die nächste Chronik. Nummer drei folgte nach der Sammlung der Heimbacher Gemeindeprotokolle. Die ist auch auf der Gemeinde-Homepage (www.niederheimbach.org) unter „Die Zeit unserer Vorfahren“ zu finden.
Heinz Scheibe ist als gelernter Werkzeugmacher auch heute noch am Basteln und nach wie vor in der „Rentnerband“ aktiv, die so manches Projekt im Ort anpackt. Langeweile ist ihm völlig fremd. Ob die Engel am Altar der Pfarrkirche oder viele der erhaltenen Figuren aus dem Märchenhain – er hat sie alle restauriert und dafür gesorgt, dass sie heute aussehen wie neu. Hier ist er Mann der ersten Stunde im Verein Dorfmuseum, hat maßgeblich bei der Überarbeitung und Ergänzung der Unikate geholfen, hat gemalt, geritzt und geschnitzt. Und nicht nur das Aushängeschild vor der Tür.
Irgendwann kommt das Gespräch auf das Leben. Heinz Scheibe erzählt von der Kriegs- und der Nachkriegszeit, die er als junger Mann in Chemnitz und Umgebung erlebte. Er erzählt von einer Welt, die heute unvorstellbar scheint. Von einer Zeit, in der es in „Mitteldeutschland“ kaum etwas zu essen gab. In der er sich vom Arbeitgeber freistellen ließ, um 40 Kilometer vom Elternhaus entfernt bei einem Bauern zu arbeiten, weil er von hier aus als 17-Jähriger den Eltern Nahrungsmittel schicken konnte. Und er erzählt von seinen Begegnungen mit den russischen Besatzern und der Verwaltung in der damaligen Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ), der späteren DDR. In den Kriegsjahren musste er in die Hitler-Jugend, obwohl er das nicht wollte. Als ihn nach dem Mai 1945 die Russen in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) stecken wollten, war seine Reaktion: „Das mache ich nicht, denn ihr macht ja dasselbe!“ Als Folge musste er im Uranbergwerk in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge Zwangsarbeit leisten, lebte hier mit 59 anderen in einem Saal. Zwei Jahre später flüchtete er aus der Sperrzone in den Westen, erst zu einem Bauern nach Mannheim, später ins Ruhrgebiet, wo Bergarbeiter gesucht wurden und er zum Bergmann ausgebildet wurde.
Weil der Bruder in Chemnitz krank war, es dort nicht einmal Milch gab, schickte Heinz erst Pakete, später ging er zurück – und wurde direkt als Spion festgenommen. Knast in Chemnitz, Arbeit in Johanngeorgenstadt. Drohungen, Blendlicht, Schlafentzug. „Nach einigen Tagen bekam ich einen Rucksack und einen Arschtritt. Dann war ich draußen.“ Ohne Papiere, quasi als Freiwild. „Durch einen glücklichen Zufall und mit der Hilfe edler Menschen kam ich aus der scharf kontrollierten Lagerregion nach Chemnitz und dann wieder zu Fuß über die Grenze; danach ging die Reise wieder ins Ruhrgebiet.“ Wann genau? Scheibe schüttelt den Kopf. Jahreszahlen waren damals unwichtig, es ging ums Überleben.
Ein Jahr später kam Heinz Scheibe erstmals nach Niederheimbach, danach wieder. Busfahrten machten es möglich. Es wurde improvisiert, gefeiert, getanzt. Die Mädels verkauften Kerbelose. Heinz und sein Kumpel kauften, und sie bekamen Wochen später einen Brief: Bruno hatte einen Fotoapparat gewonnen. „Da wollten wir wissen, welche Mädels so ehrlich sind“, grinst Heinz schelmisch. Kurzum: Auf diesem Weg fand er seine Margarete, zog 1953 zu ihr, heiratete zwei Jahre später, nachdem er als evangelisch Getaufter offiziell zum Katholizismus übergetreten war.
Die Moral seiner eigenen Geschichte? „Ich habe wunderbare Kinder und kann nur sagen: Mein Leben ist großartig!“ Wenn er das in der Babbelstubb im Dorfmuseum beim geliebten Glas Wein erzählt, glaubt man es sofort. Und denkt unwillkürlich an die Dinge, die im Leben wirklich Wert haben. Niederheimbach kann froh sein, dass Scheibe hier seine Heimat gefunden hat.