Als der Vollernter noch Zukunftsmusik war

Mit dem Fuhrwerk, von Ochsen gezogen, ging es in die Weinberge. Fotos: Sammlung Bungert
OCKENHEIM - Gefühlt ist es schon ewig her, dass eine Traubenlese völlig ohne Maschinen im Weinberg auskam. Was heute sehr oft Traubenvollleser in wenigen Stunden erledigen, waren bis weit in die 1970er- Jahre viele Menschen über Tage beschäftigt.
Tatsächlich war bis 1994 manches anders. Das waren noch Zeiten, als der Gemeinderat alle Weinbergswege mit beginnender Reife der Trauben für Einheimische und Fremde sperrte. So heißt es im Gemeinderatsprotokoll 1928: „Es ist verboten, die Weinberge des morgens vor dem Zeichen der Glocke zu betreten, desgleichen beim Zeichen der Glocke des Abends, und bei eintretendem Regenwetter haben sich sämtliche Personen aus den Weinbergen zu entfernen.“ Bis zu vier Wingertsschützen überwachten streng die Einhaltung des Verbotes.
Gemeinderat beschloss den Beginn der Weinlese
Den Beginn der Lese beschloss ebenfalls der Gemeinderat, vorerst für bestimmte Gemarkungen und Rebsorten, so im Protokoll 1927: „Die Portugieserlese wird auf Montag, den 26. September, festgelegt.“ Dann folgte der Beginn der allgemeinen Lese, wie 1928: „Die Weinlese der weisen Trauben in hiesiger Gemarkung beginnt am Montag, den 22. Oktober, und es bleiben die Weinberge bis zum 10. November geschlossen.“ Gegenüber derzeitig begann die Lese Ende September und zog sich in manchen Jahren sogar bis Anfang November hin. Nach der be- stehenden Gesetzeslage kann jeder Winzer selbst bestimmen, wann und mit welcher Rebsorte er anfängt. Allerdings muss nach bundesland-spezifischen Weinverordnungen die Weinlese für Qualitätsweine mit Prädikat zu einem festgelegten Zeitpunkt der Vollreife erfolgen.
Wer während der aktuellen Weinlese vom Jakobsberg in die Gemarkungen von Ockenheim schaut, der wird vereinzelt in einem Weinberg eine Lesemaschine, hie und da Jogger, Spaziergänger oder Radfahrer sehen, aber ansonsten sind sie menschenleer.
Ehemals wimmelte es geradezu dort von kleinen und großen Gruppen von Lesern mit den Legelsträgern. Diese hatten die Aufgabe, durch die Zeilen zu gehen und die geernteten Trauben im Legel in die große Bütt zu entleeren. Noch bis in die 1980er-Jahre wurden die Trauben von Hand gelesen.
Spitzweck und Hausmacher Wurst zum Frühstück
Alle blieben unter Mittag „draußen“ und wurden meist zum Frühstück mit Spitzwecken und Hausmacher und zur Tageshälfte mit einer kräftigen Suppe versorgt. Die Arbeit war nicht einfach: Die Traubenzone befand sich nämlich bis Mitte der 60er-Jahre vorwiegend in die Nähe des Bodens und tiefes Bücken oder gar Knien waren angesagt. Dazu kamen Regen, Kälte und oft noch die vom Herbstnebel verursachte Feuchtigkeit an den Blättern bis gegen Mittag. Dennoch ging es ruhig und meist lustig zu. Viele Ortsgeschichten machten die Runde, und auch Gesang durfte nicht fehlen.
WEINGESETZ
Das Weingesetz, auch Weinrecht genannt, beinhaltet die Richtlinien und Kriterien für Weinanbau, Weinherstellung und Verkauf von Wein. Letzte Neufassung: 8. Juli 1994. Letzte Änderungen: 1. Oktober 2017.
Im damaligen, sogenannten Herbst stand das öffentliche und Vereinsleben in der Gemeinde still. Die Volksschule gab nach verkürzten Sommerferien für die Zeit der Lese lange schulfrei. Im katholischen Kindergarten konnten die Kinder auch unter Mittag bleiben. Und viele Bürger, oft selbst „Nebenerwerbslandwirte“, die auswärts ihre Arbeitsstätte hatten, nahmen sich extra für diese Zeit Urlaub.
Kurzum: Alle und alles waren nur auf die Lese ausgerichtet. Heute, bei circa 15 Weingütern in Ockenheim, nimmt die Lese auf das allgemeine Ortsgeschehen nur wenig Einfluss.