Trockenschäden im Wald bei Bingen nicht zu übersehen

BINGEN - Eine Studie aus Zürich schaffte es in sämtliche Nachrichtenkanäle: Zusätzlich massenhaft Bäume zu pflanzen, das würde dem Klimawandel Einhalt gebieten. Erderwärmung begrenzen, darum geht es auch Axel Henke. Seit einem Jahr ist der 51-Jährige aus Weiler Forstamtsleiter. Sein Revier erstreckt sich am Rhein entlang, von Bingen bis fast nach Koblenz. Das Höhenprofil reicht von der mediterranen Flusslandschaft hinauf auf über 600 Meter.

Wo im Revier ist der Klimawandel sichtbar? Was kann der Forst tun? Zwei Fragen an den Baum-Experten und Dozenten an der Binger TH. „Das Ökosystem Wald ist durch den Klimawandel im Dauerstress.“ Trockenschäden könne auch der Laie sehen: Wo eigentlich ein grünes Blätterdach die Baumkronen verhüllen müsste, sind kahle Äste sichtbar. „Die Eichen an den Rheinhängen hat es böse erwischt.“ Die Fichten sowieso. Der Wald könne insbesondere an den Steilflanken nicht mehr seine Funktion erfüllen. Die Folge: Bodenerosionen, abgerutschte Erdmassen, Sturzbäche. Gesperrte Wanderwege seien dabei noch das kleinste Problem.

„Wenn ganze Hänge abrutschen, hat sich die Bahnstrecke durch das Mittelrheintal bald erledigt.“ Axel Henke spricht Klartext: „Wir brauchen ein Wald-Management für den Erhalt.“ Vorausdenken für klimaangepasste Baumarten beschäftigt ihn stark. Noch besser auf richtige Standorte für Baumarten achten, das kann der Förster tun. An den Steilhängen des Rheins vielleicht Esskastanie, Elsbeere, Speierling und Kirsche voranbringen, das sind Überlegungen. „Ich denke auch an klimarobuste, aber nicht ganz fremde Arten wie Baumhasel und Atlaszeder.“ Die Fichte ist raus. „Tannen sind leider Delikatessen fürs Wild.“ Douglasien reagieren auf Hitzejahre mit Miniwachstum. Viele Baumarten werden verstärkt unter der erwarteten Klimaerwärmung leiden. Zwischen zwei und sechs Grad variieren die Prognosen im Revier. „Bei sechs Grad kann ich fast alle heimischen Baumarten streichen.“

Henke und seine Forstamtskollegen müssen in Jahrzehnten denken, denn der Waldumbau geht nicht von jetzt auf gleich. Schädlinge sind flexibler. Ihnen spielt zusätzliche Wärme für Fortpflanzung und Revierausdehnung in die Karten. „Eichenprozessionsspinner, dramatische Borkenkäfer-Vermehrung und gefühlt deutlich mehr Zecken“, zählt Henke auf. Neue Schädlingsarten wandern ein.

Was an Holz, Rinde, Blättern oder Wurzeln massenhaft nagt, schwächt den Baum. Sichtbarste Folge des Klimawandels im Binger Wald: Windwürfe. Stürme werden heftiger, treffen auf geschwächte Bäume. Vor allem in den tieferen Lagen findet der Waldumbau zu mehr Laubbäumen bereits seit 30 Jahren statt, lobt Henke seine Vorgänger. „Aber die Baumstandorte erfahren rapide Veränderung, so drastisch wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnung im Jahr 1881.“ Und ein Baum kann nicht mal eben den Koffer packen und ins Kühle umziehen. „Bäume reduzieren das Wachstum, bringen weniger Ertrag.“ Sie werfen Blätter und Früchte vorzeitig ab – stille Hilferufe.

„Der Holzmarkt ist zusammengebrochen, Einnahmen werden für Forstbesitzer geringer und vor allem nicht mehr planbar sein.“ Der Wald darbt. Henke leiht ihm seine Stimme. Wie die Schweizer Forscher weiß der Forstamtsleiter: Bäume sind einerseits das Frühwarnsystem des Klimawandels und andererseits Teil der Lösung. „Wald ist Staubfilter, Wasserrückhalt und CO²-Killer erster Güte.“

Auch könne ein Plastikverbot einen neuen Run auf mindere Holz-Sortimente auslösen. „Auf Förster kommen dann ganz neue Aufgaben zu.“ Zukunftsfähigkeit ist gefordert. „Ob Entscheidungen heute richtig sind, kann im Wald erst unsere Enkel-Generation sagen.“ Was ankommt: Wald braucht keine Schnellschüsse, sondern Profi-Management. „Wir brauchen auch eine stärkere Gesetzgebung“, fordert Henke von der Politik. Gute Bejagung erhöht zudem die Chance auf gesunde Bäume. Jäger-Gespräche stehen auf seiner Liste. Henkes Richtung für den Binger Wald heißt Mischwald. Denn ein möglichst buntes Sortiment bedeutet Risikostreuung.