Binger Jugendherberge hat wieder geöffnet, kämpft aber wegen massiver Buchungseinbrüche ums Überleben.
Von Christine Tscherner
Einen tollen Blick auf die Ruine Ehrenfels und das Rheintal bietet das Restaurant der Binger Jugendherberge. Die Tischdeko musste Christian Kupper allerdings abräumen.
(Foto: Christine Tscherner)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
BINGERBRÜCK - Herbergsleiter Christian Kupper ist ein Mensch voller Optimismus. Diese Eigenschaft braucht er in seinem 32-Zimmer-Haus hoch über dem Rhein gerade mehr als nötig. Am Montag ging das Jugendgästehaus umgerüstet an den Neustart. Abstände sind auf dem Boden markiert, Deko ist von den Tischen abgeräumt und Desinfektionspläne sind besprochen.
„Die Schließung der Jugendherberge steht jeden Monat neu auf dem Prüfstand“, sagt Kupper. Über den Berg? Nein, „den Kopf über Wasser halten, das ist momentan sehr schwer“, klagt Jacob Geditz, Vorstandsvorsitzender der Jugendherbergen in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Auf 21 Millionen Euro beziffert er die Einnahmeverluste im Gesamtverband bislang. „Das sind 50 Prozent des gesamten Jahresumsatzes.“ Überleben des Corona-Lockdowns sei selbst nach der Wiederöffnung noch völlig offen.
Konkret: 20 000 Übernachtungen pro Jahr brauche das Binger Haus für ein Nullsummenspiel. Christian Kupper rechnet vor, dass allein 20 000 Euro fixe Ausgaben von der Lüftungswartung bis zum TÜV für den Aufzug derzeit gerade einmal 6000 Euro an Einnahmen gegenüberstehen. Die Hälfte der zum Jahresstart bereits gebuchten 21 000 Gäste hat storniert. „Von den restlichen 10 400 Buchungen sind noch viele Jugendgruppen und Senioren in den Büchern, die wahrscheinlich ausfallen“, malt Kupper ein düsteres Bild.
Fast wirkt das strahlende Ausflugswetter vor der Haustür wie Hohn. Die 17 Mitarbeiter der Herberge hoffen auf den prognostizierten 2020er-Trend zum Urlaub im eigenen Land – auch jenseits von Meer und Bergen.
In Normaljahren kann der Chef des Vorzeigebetriebs ebenso wie sein Kollege von Burg Stahleck in Bacharach mit immer neuen Rekordmeldungen glänzen. Beide Häuser gehören zu den Bestsellern, bieten in den Gemeinden die meisten Übernachtungskapazitäten und sind im Sommer regelmäßig ausgebucht.
Jugendherbergen kämpfen derzeit mit zwei Riesenproblemen: Zwei Drittel ihrer treuen Klientel, nämlich Schulklassen und Gruppenreisen, werden mindestens bis zum Jahresende fernbleiben, und anders als private Hoteliers konnten die Herbergen keine Rücklagen bilden. „Hätten wir Geld aus den vergangenen zehn Jahren ansparen können, wir hätten Luft“, verdeutlicht Kupper. Gewinne sind im Jugendherbergskonzept jedoch ausgeschlossen.
„Bingen war schon immer ein wirtschaftlicher Standort, nie ein Wackelkandidat.“ Das Geschäftsmodell stimme, betont Kupper. Und selbst in den mauen Wintermonaten schreibe das Haus mit engagiertem Team und breiter Vernetzung in der Region schwarze Zahlen. „Das gesamte Folgegeschäft mit dem Ticketverkauf für Ausflugsschiffe, Sommerrodelbahn auf der Loreley oder Stadtführungen bricht mit ausbleibenden Jugendherbergsgästen weg“, zählt Kupper auf.
Das Jugendgästehaus am Waldrand fungiert als eine Art Außenstelle der Tourist-Information. Ganze Servicepakete bucht der Gast direkt im Haus. Kooperationen bilden die Basis und Argumente für mehr als eine Nacht. Traumaussicht und Top-Anbindung an die Bahnstrecke sind Pfunde. Naturerlebnisbad und direkter Wandereinstieg ebenso.
Covid-19-Maßnahmen zwangen am 20. März zur Schließung. Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Am Montag startete das Haus mit zwei Gästen; für Christi Himmelfahrt sind 19 angemeldet. Das Restaurant ist von 121 auf 65 Sitzplätze reduziert und der größte Seminarraum auf maximal 20 Personen beschränkt.
Klassenfahrten machen laut Kupper einen Anteil von 35 Prozent der Binger Jugendherbergsgäste aus, Gruppen und Seminare weitere 33 Prozent. Insgesamt 25 000 Übernachtungen zählt das 121-Betten-Haus in guten Jahren; jeder vierte Bingen-Gast schläft laut Statistik im Jugendherbergsbett.