Erstmals beginnen die Diskussionen zum aktuellen Etat, ohne dass eine parlamentarische Mehrheit in Sicht ist. Mit dem Auseinanderbrechen der schwarz-grünen Koalition ist alles offen.
Von Erich Michael Lang
Reporter Rheinhessen
Eines der großen Projekte im Doppelhaushalt: der laufende Neubau der Stadtbibliothek an der Basilikastraße.
(Foto: Thomas Schmidt)
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BINGEN - Der Doppelhaushalt 2019/2020 liegt auf dem Tisch. Die Unterlagen haben die Kämmerei verlassen und werden die Fraktionen ereilen. In der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 6. November beginnt die parlamentarische Debatte und damit das Tauziehen um die Finanzen der Stadt in den kommenden zwei Jahren. Und das steht diesmal unter ganz besonderen Vorzeichen. Denn rein rechnerisch gibt es derzeit im Stadtrat keine Mehrheit, die aber erforderlich sein wird, damit das Zahlenwerk die parlamentarische Hürde nehmen kann.
Auf der Suche nach Verbündeten
Die Mehrheitskoalition von CDU und Grünen ist Geschichte. Die Grünen hatten das Bündnis aufgekündigt, nachdem aus grüner Sicht gleich mehrfach der Koalitionsvertrag von den Schwarzen verletzt worden war (wir berichteten). Oberbürgermeister Thomas Feser als Christdemokrat hat damit zunächst einmal nur 16 Stimmen im Rat auf seiner Seite. Das reicht aber für eine Mehrheit nicht, denn der Binger Stadtrat elaboriert mit 36 Sitzen, vier bei den Grünen, jeweils zwei bei FDP und FWG und zwölf bei der SPD.
„So eine Situation hatten wir noch nicht in Bingen“, sagt Feser gegenüber der AZ. Er werde Gespräche mit allen Fraktionen führen, wie es ausgeht, könne keiner sagen. Notfalls müsste der Beschluss zum Doppelhaushalt auf die Zeit nach der Kommunalwahl im Mai 2019 vertagt werden, wenn es dann eine stabile Mehrheit gebe. „Ohne Haushaltsbeschluss muss aber auch allen klar sein, dass dann einstweilen die neue, zusätzliche Kita in Büdesheim an der TH beispielsweise nicht gebaut werden kann. Das muss der Stadtrat wissen“, unterstreicht der Oberbürgermeister.
ECKDATEN DOPPELHAUSHALT 2019/20
Das Volumen des Doppelhaushaltes liegt bei rund 70 Millionen Euro.
Der Schuldenstand ist derzeit 44 Millionen Euro, und er könnte in den kommenden beiden Jahren auf 53 Millionen Euro steigen.
Kreditaufnahmen sind geplant 2019 mit 9 Millionen Euro, 2020 mit fünf Millionen Euro. Allerdings zunächst nur als Verpflichtungsermächtigungen, was bedeutet, die Verwaltung hat die Option, die Kredite zu nehmen, muss sie aber nicht, wenn sich die finanzielle Entwicklung günstiger ausgestaltet.
Planmäßige Tilgung pro Jahr 2,5 Millionen Euro.
Investiv weist der Etat unter anderem folgende Projekte aus: Umbau der Grundschule Büdesheim zur Inklusionsschule; Erweiterung der Kita Farbenfroh in Büdesheim durch eine sechsgruppige Kita in Holzmodulbauweise; Anbindung Rhein-Nahe-Eck; Stadtbibliothek; Schnellradweg am Rhein; Sanierung Alte Schule Dietersheim; Sportplatz Dromersheim.
Oberbürgermeister Feser betont, es seien auch zwei Mobilitätsstationen für Fahrräder vorgesehen, am Haupt- und am Stadtbahnhof. Die Auseinandersetzung um Mobilitätsstationen war das Totenglöcklein der schwarz-grünen Koalition. Feser unterstreicht: „Der Beschluss zum Bau von Mobilitätsstationen ist schon neun Jahre alt.“
Und es ist nach dem Platzen der Koalition nicht bloß im Stadtrat vertrackt. Im Stadtvorstand sitzt neben dem CDU-Oberbürgermeister und dem CDU-Bürgermeister der Grüne Jens Voll als Beigeordneter. „Also ich halte es für konsequent, wenn nun der Beigeordnete die Konsequenzen ziehen und auf seine Geschäftsbereiche verzichten würde“, sagt Feser. Mit dem Koalitionsbruch ist offenbar auch der Rest an Vertrauen weggebrochen. Ob es allerdings dafür im Rat eine Mehrheit geben sollte, die Geschäftsbereiche neu aufzuteilen, ist derzeit ebenso fraglich wie eine Mehrheit für den Haushalt.
Bei all diesen Wenns und Abers gerät das Zahlenwerk selbst fast aus dem Blick. Mit einem Volumen von 70 Millionen Euro bringt der Etat ordentlich Gewicht in die Waagschale. Ausgeglichen wird er sein, aber im Schlepptau befinden sich 44 Millionen Euro Schulden, die sich in den nächsten beiden Jahren auf 53 Millionen erhöhen könnten. Kreditaufnahmen zunächst als Verpflichtungsermächtigungen sind für 2019 mit neun Millionen Euro eingeplant und für 2020 mit weiteren fünf Millionen Euro. Die jährliche, planmäßige Tilgung beläuft sich auf 2,5 Millionen Euro.
Der Oberbürgermeister macht darauf aufmerksam, dass in der Vergangenheit gute Steuereinnahmen und finanziell üppig ausgestattete Förderprogramme dafür gesorgt hätten, den Schuldenstand auf 44 Millionen runterzufahren. Es sei deshalb auch nicht notwendig gewesen, die Kredite, die im vorangegangenen Doppelhaushalt eingeplant gewesen sind, alle abzurufen. Gleiches könne sich durchaus auch jetzt ereignen, weshalb die Kredite als Ermächtigung eingestellt seien, nicht aber sozusagen gleich scharfgeschaltet werden.
Mit den sprudelnden Steuereinnahmen wird es in den nächsten Jahren absehbar nicht mehr so erfrischend sein. Ein großer Gewerbesteuerzahler hat sozusagen eine Gewinnwarnung herausgegeben und rechnet mit deutlichen Einbußen, die wiederum die Steuerzahlungen empfindlich drücken werden.
Deshalb tönt schon wieder die Mahnung des Oberbürgermeisters über allen Haushaltsberatungen, es jetzt nicht zu übertreiben und nicht noch zusätzliche Projekte obendrauf zu packen. Allerdings könnte genau das der politische Preis der einen oder anderen Fraktion sein, wenn sie dem Haushalt zustimmen soll. „Die Leute sehen doch, es wird viel gemacht“, sagt Feser. Ob das aber die Fraktionen auch so sehen, wird sich zeigen.