Gerhard Müller aus Gaulsheim schwört auf Wildkräuter
Giersch, Schafgabe, Mädesüß und Geißfuß: aromatische Wildkräuter, die eine Renaissance erleben - als Speise oder Medizin. Gerhard Müller aus Gaulsheim kennt sich damit aus.
Von Christine Tscherner
Gerhard Müller in den Rheinauen bei Gaulsheim mit Mädesüß in der Hand und vor dem „Brennnessel-Wald“.
(Foto: Tscherner)
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GAULSHEIM - Von wegen Unkraut: Bärlauch und Brennnessel, Giersch und Schafgarbe – Mutter Natur bietet Vitaminbomben zum Nulltarif. Gerhard Müller, 61, kennt sich mit Wildkräutern aus. Sogar Smoothie-Rezepte hat der Experte aus den Allerweltspflanzen zusammengestellt. Im Naturschutzgebiet der Rheinauen führt Müller Interessierte in den Kosmos des grünen Wissens ein.
„Wildkräuter erleben seit ein paar Jahren eine enorme Renaissance“, sagt Müller. Bei seinen Wildkräuterwanderungen verändert sich das Publikum. „Vor 20 Jahren hat das Thema ausschließlich die Ü60-Gerneration angesprochen, heute kommen junge Familien mit Kindern.“
Weg mit getrockneter Petersilie im Salat, her mit frischem Grün von Wiesen und Wäldern. Vitaminreiche Küche schätzen immer mehr Menschen. „Nur ist das Wissen um heimische Kräuter und Wildgemüse oft verloren gegangen“, so Müller.
Müller pflückt Mädesüß vom Wegrand. Die Pflanze wächst an feuchten Gräben und ist deshalb rund um das Nabu-Zentrum in Gaulsheim kein Exot. Er lässt am Stängel riechen. Der Duft erinnert dezent an Medizin. Und tatsächlich: „Bei leichten Kopfschmerzen ersetzt ein Mädesüß-Tee die Tablette.“
Beim Blick auf mannshohe Brennnessel hat Müller Rezepte wie Brennnesselsuppe und -spinat im Kopf. „In den Samen dort stecken viele Mineralstoffe und Eisen, ein richtiges Superfood.“ Müller begeistert sich für das „Naturprodukt mit mächtig viel Power“.
Von den 12 000 Pflanzenarten in Mitteleuropa verzehrten unsere Vorfahren 1000, sagt der Fachmann. Heute seien Verzehr und Kultivierung auf maximal 50 Arten beschränkt. Was auf dem Esstisch lande, habe nur noch wenig mit der wilden Variante zu tun.
„Dabei sind Wildpflanzen so gesund, wohlschmeckend und meist viel bekömmlicher als ihre mit Agrarchemie aufgepäppelten Verwandten im Supermarktregal.“ Was die Urgroßeltern noch wussten: Giersch helfe gegen Gicht, Rheuma und Arthrose. „Heute ist das wuchernde Kraut bei Gärtnern verhasst.“
Für Müller ist Geißfuß nicht nur Deko für ein Süppchen. „Wir essen gern eine große Schüssel voll Giersch als Salat.“ Wie lässt sich welches Kraut in der Küche verwenden? Darauf liegt bei seinen Teilnehmern oft das Hauptaugenmerk. Deshalb gehört zu jeder Wanderung in der Natur die anschließende Zubereitung.
Wichtig ist der Hinweis: „Man sollte sich schon auskennen.“ Denn ähnlich wie bei Pilzen landen trotz Einweisung immer wieder Giftpflanzen im Sammelkorb der Gruppen. Gerhard Müller hat weder Medizin studiert, noch ist er Botaniker. „Aber ich hatte als Kind schon meinen eigenen Garten und bin in einem Haus am Waldrand aufgewachsen.“ Zusammen mit seinem Schwager betrieb der Mann von der Nahe über viele Jahre Biolandwirtschaft.
Hauptberuflich arbeitet Müller als Qi Gong-Lehrer. Die Ausbildung in zweiwöchigen Blöcken war zeitintensiv; die Gartenarbeit litt. Ohne sein Zutun wurden die gesäten Möhren damals von Unkraut überwuchert. „Ich habe mir dann einmal genauer angesehen, was ohne mich in diesem Boden am besten gedeiht.“ Das, so sagt er, war der Beginn einer tiefen Freundschaft zu Wildkräutern und den Schätzen der Natur gewesen. Begriffe wie „Achtsamkeit“ und „Wertschätzung“ kommen bei ihm nicht religiös überhöht daher, sondern ziemlich bodenständig.
Seit 20 Jahren leitet Müller von Frühjahr bis Herbst Wildkräuterwanderungen mit Kochworkshops. Auf seltene Exoten verzichtet er absichtlich, konzentriert sich auf sieben bis acht Heilpflanzen vom Wegesrand, die den Speiseplan bereichern können. Ganz ohne Dogma, eher als Anregung. Sehr sympathisch.
Sein Lieblingsrezept: Spaghetti mit Olivenöl und einer großen Handvoll frisch gesammelter und in feine Streifen geschnittener Bärlauch-Blätter.