Samstag,
21.09.2019 - 02:00
5 min
Geplantes Überflutungsgebiet sorgt für Ärger
Von Christine Tscherner

Über den Plan der Deichsanierung sind sie alles andere als erfreut (v.l.): Artur Hanisch, Friedrich Ellerbrock, Gustav Eich, Christoph Kern und Julia Hanisch an einem Maisfeld, das momentan noch hinter dem Nahedamm liegt. (Foto: Christine Tscherner)
BINGEN - Die Landwirte sind sauer: Im Zuge der Deichsanierung entlang der Nahe wollen die Experten der Wasserwirtschaft im Abschnitt zwischen Grolsheim und Sponsheim nicht bloß den alten Damm abdichten oder neu aufbauen, sondern den Deich „rückverlegen“. 80 Hektar Land mit einem Volumen von 1,8 Millionen Kubikmeter Wasser könnten so den Hochwasserschub abmildern. Von dem Plan sind rund 300 Grundstücke betroffen und rund 130 Eigentümer, darunter acht Landwirte. Diese sind verärgert, bemängeln einen fehlenden Informationsfluss und Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg.
Nun hat sich Friedrich Ellerbrock, Bezirksgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, mit den Landwirten an einem Maisfeld hinter dem alten Nahedeich getroffen. Ellerbrock erklärt den Plan und zeigt in alle Himmelsrichtungen: „Von der Autobahnbrücke direkt an der Grundstücksgrenze des Aldi-Zentrallagers entlang bis Grolsheim.“ In der Tat: ein weites Land voller Wiesen und Äcker. Der Abschnitt zwischen Grolsheim und Sponsheim soll ab 2022 umgebaut werden. 19 Millionen Euro soll das kosten, fertig saniert ist laut Landesplan frühestens in fünf Jahren.
Artur Hanisch und Tochter Julia sind zu dem Treffen gekommen. „Ja, wir sind sauer, weil nur auf Drängen des Bauernverbandes überhaupt eine Information Ende August stattfand“, sagt der Landwirt aus Sponsheim. Die offizielle Vorstellung der Idee liegt in der Tat weit in der Vergangenheit, wie auch die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd (SGD) in Neustadt einräumt. 2002 und 2003 sei in Versammlungen informiert worden. „Das ist ewig her und jetzt ist an den Plänen nichts mehr zu drehen“, sagt Hanisch. Richtig, sagt die SGD Süd, die Planung sei abgeschlossen. „Man kann ja wohl davon ausgehen, dass Grundstückseigentümer persönlich angeschrieben und gefragt werden“, sagt Julia Hanisch. Ziemlich „wurstig“ sei über die Interessen der Landwirte hinweggegangen worden, findet auch Ellerbrock.
Ob das Land die Flächen kaufen will? Ob bei Überflutungen Entschädigungen an die Pächter oder die Eigentümer fließen? Die Landwirte kennen die Bedingungen nicht genau. „Zudem hat die SGD persönliche Daten von über 100 Personen mit Anschriften frei zugänglich im Internet veröffentlicht, ein Unding in heutiger Zeit“, findet Christoph Kern aus Horrweiler. Mit 6,5 Hektar für Weizen, Gerste und Mais liegt sein Land im Überflutungsgebiet. Für Gustav Eich ist der Flächenbedarf hinter seiner Gärtnerei unternehmerisch heikel. „Meine vier Hektar Erweiterungsfläche liegen jetzt in der Überflutungszone. Ich stoße als Vorlieferant für meine Kunden schon jetzt an Grenzen und brauche die Fläche dringend.“
Und dann ist da noch die Technische Hochschule Bingen. „Sie hat Versuchsflächen im Areal“, sagt Ellerbrock. Überflutet das TH-Terrain, sind 15 Jahre Forschungsarbeit für die Katz. Denn langjährige Versuchsreihen basieren auf gleichbleibenden Bedingungen. Einen Grundstückstausch will das Land anstoßen. Zudem könne die TH nicht mit Futterflächen für Tiere auf dem Wendelinhof planen.
Unplanbarkeit von Hochwasser, genau das ist der Punkt für Betroffene. „Wir sind kein bisschen gegen Hochwasserschutz, überhaupt nicht“, betonen alle Landeigentümer. „Aber Land ist nun einmal nicht vermehrbar und in unserer Region kostbar“, bringt es Hanisch auf den Punkt. Durch das riesige Gewerbegebiet Sponsheim/Grolsheim verlor er viele Hektar, konnte dies durch Zukauf und Aufgabe von Kollegen kompensieren. „Aber 31 Hektar im Polder, das ist eine echte Katastrophe.“ Zehn weitere Hektar seien während der Bauphase bei ihm betroffen. 190 Hektar Betriebsfläche hat er insgesamt unter dem Pflug. Er fragt: „Was ist, wenn die Felder von Heizöl kontaminiert werden oder Treibholz durch das Hochwasser auf den Äckern bleibt?“
Die SGD Süd schreibt: „Sämtliche Schäden, welche bei der Flutung des Rückhalteraumes entstehen, werden seitens des Landes entschädigt oder beseitigt.“
Schwierig ist für die Bauern das Risiko eines Ernteverlusts. Auf ein zehnjähriges Hochwasser ist die Deichrückverlegung statistisch ausgelegt. „Dann kann das Wasser öfter oder seltener, aber im Schnitt alle zehn Jahre die Äcker vor dem Deich fluten“, sagt Ellerbrock. Wer Milchvieh hält oder mit Großabnehmern Verträge schließt, hat bei dieser Statistik ein Nachschubproblem.
„Deutschland ist jetzt schon abhängig von 20 Millionen Hektar Ackerfläche im Ausland“, betont Christoph Kern. Und noch einmal deutet er auf die Planungskarte. Ganz anders als beim Polderbau bei Ingelheim schieße die Nahe aus der Kurve direkt über eine Schwelle in die Felder. „So laufen unsere Felder regelmäßig bei Hochwasser voll“, prognostiziert Kern.
Ingelheimer Land wird hingegen gezielt mit Schiebern nur im Notfall geflutet, wenn Städte rheinabwärts im Hochwasser zu versinken drohen. Ein paar Zentimeter geringere Wasserhöhe können entscheidend sein. Retentionsraum ist deshalb unbestritten wichtig im Kampf gegen Hochwasser-Katastrophen. Die Renaturierung von Bächen und der Zisternenbau setzen dann beim Zufluss an.
Die Fachleute des Wasserwirtschaftsamts haben 2002 und 2003 zu Infoveranstaltungen in Grolsheim eingeladen, das ist dokumentiert. Laut AZ-Archiv folgten ebenfalls 2003 über 100 Menschen der Einladung ins Sportlerheim Dietersheim. Schlimme Hochwässer von 1993 und 1995 waren an der Unteren Nahe Anlass zum Umdenken. Deichsicherheit und gewollte Überflutungszonen rückten in den Blickpunkt. Doch selbst wer bei „hydraulischem Gradient“ und „geoelektrischer Tiefensondierung“ nur Bahnhof verstand: Der Nahedeich, so viel kam bei jedem Zuhörer an, hat an vielen Stellen fast 100 Jahre auf dem Buckel. Eine Sanierung drängt. Das Wasser drückte sich an Schwachstellen bis auf die Landseite durch. Wühltierbefall, fehlender Weg zur Deichverteidigung, zu steile Flanken – so lauteten weitere Diagnosen.
Etappe für Etappe arbeiten sich die Spezialisten seither an der Deichlinie entlang. Dietersheim ist inzwischen neu gesichert. Die Debatte um nur mäßigen Schutz für die Kleingartensiedlung ist noch im Ohr.
Welche Chancen die Grundbesitzer von Grolsheim und Sponsheim noch haben, an den Plänen etwas zu ändern? „Aktuell läuft die Planfeststellungsphase“, schreibt die SGD Süd. Die Auslage der Unterlagen sei abgeschlossen, Betroffene aus Bingen könnten gegen die aktuelle Planung also keine Einwendungen mehr vorbringen. Für Grolsheim und Betroffene der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen endete laut Ellerbrock die Einspruchsfrist am Donnerstag.