Mit einer Visualisierung und einer Erläuterungstafel soll auf die ehemalige Synagoge hingewiesen werden. Das einst imposante Gebäude wurde in der Reichspogromnacht zerstört.
Von Erich Michael Lang
Reporter Rheinhessen
Der Florian auf der Nordwand der ehemaligen Synagoge soll entfernt werden.
(Foto: Thomas Schmidt)
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BINGEN - Wenig sensibel ist die Stadt Bingen über viele Jahrzehnte auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch ihrem jüdischen Erbe begegnet. Jeder darf sich aussuchen, ob dies mit Absicht geschah oder tatsächlich nur aus bloßer Einfalt. Ein steinernes und deshalb auch unübersehbares Beispiel sind die Überreste der Synagoge in der Rochusstraße. Das imposante Gebäude, das einmal den Binger Sakralbauten mindestens ebenbürtig war, fiel auch dem barbarischen Wüten nationalsozialistischer Brandstifter in der Reichspogromnacht zum Opfer und brannte fast vollständig aus. Lediglich der auch heute noch bestehende rechte Gebäudeteil blieb erhalten. Die übrigen Bereiche waren von dieser Nacht an eine Brandruine.
Brandruine steht noch viele Jahrzehnte
Das war den Nazis bis zu ihrem eigenen Untergang stets ein Dorn im Auge, zumal zum Teil auf dem Gemäuer „Kultusabzeichen“ noch zu erkennen waren. Aber trotz auch erheblichen politischen Drucks ist eine Niederlegung und Beseitigung der Ruine der braunen Verwaltungshierachie nicht gelungen. Das wurde erst 1970 besorgt, als Bagger die Fläche einfach freiräumten, um Platz zu schaffen für eine Wohnbebauung. Nebenan, im intakten Gemeindeteil der ehemaligen Synagoge, hatte derweil über viele Jahre schon der Binger Winzerverein zu Musik, Tanz und Wein geladen.
Das alles verstörte nicht nur Gäste der Stadt. Und schließlich zeigt dann auch noch – denn die Feuerwehr residiert in der Nachbarschaft – die Nordfassade den heiligen Florian, wie er die Stadt löschend schützt; nur eben das Synagogengebäude hatte genau diesen Schutz nicht und brannte nieder, weil die Feuerwehr wie überall im „Reich“ in dieser Nacht untätig blieb.
DIE SYNAGOGE
Seit 1872 feierte die jüdische Gemeinde ihre Gottesdienste in einer eigenen Synagoge in einem kleinen Haus in der Amtsstraße 13, in dem früher die Judenschule war.
Die Synagoge an der Rochusstraße wurde 1905 eingeweiht. Sie war baulich auch Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses der Gemeinde, die sich als Israeliten sahen, die ihre Synagogen in Tempel wandelten, weil nicht mehr das ferne Palästina, sondern Deutchland als das gelobte Land galt, an dem der messianisch verheißene Tempel gebaut werden sollte, ein weitin sichtbares Bekenntnis der deutschen Juden. Liberale Strömungen glichen so die Synagogen dem Kirchenbau an.
Quelle: Arbeitskreis Jüdisches Bingen. Juden in Bingen. Beiträge zu ihrer Geschichte. Dr. Josef Götten: Die Synagoge in der Rochusstraße. Bingen 2015
Das sind bei Weitem nicht alle, aber doch mit die peinlichsten bis bittersten Wahrheiten, die Bingens Umgang mit seiner jüdischen Gemeinde annähernd bis zur Gegenwart kennzeichnen. Es zählt zu den Verdiensten des Arbeitskreises Jüdisches Bingen, diese Wahrheiten ausgesprochen zu haben. Das hat gewiss dazu beigetragen, dass inzwischen erkennbar mit Sensibilität darüber nachgedacht wird, wie das jüdische Erbe bewahrt und der Nachwelt auch aufschlussreich vor Augen gestellt werden kann.
Dazu zählt dann eben auch, im Stadtbild die Reste des Synagogenbaus als solche kenntlich zu machen und dem Besucher zu vermitteln, vor welchem Gebäude er da eigentlich steht. Kennzeichnend für die neue Sensibilität ist dabei auch, dass der Arbeitskreis von Anfang an in solche Überlegungen miteinbezogen wird. Der Kulturausschuss hat jetzt den Weg frei gemacht, dass sich an der Synagoge etwas verändern wird, und zwar etwas zum Besseren. Der Florian wird entfernt werden. Gegen den ursprünglichen Plan, dann auf die freie Wand eine Ansicht der Synagoge wie sie einmal war zu platzieren, hatte sich der Arbeitskreis ausgesprochen. Dafür soll es eine „Erklärtafel“ zum Gebäude geben und eine Visualisierung in einer Edelstahlstele, die das Bauwerk in seinem unbeschädigten Zustand zeigt. Der besseren Übersicht wegen soll das Ensemble schräg gegenüber, am Eingang zur Holzhauserstraße, installiert werden.