Ein letztes Konzert gibt der MGV Bingerbrück, dann wird ein Schlussstrich gezogen unter 138 Jahre musikalische Aktivitäten. Ein weiterer Gesangverein gibt wegen Überalterung auf.
Von Jochen Werner
Noch ein Auftritt, dann werden die Notenblätter beim MGV Bingerbrück eingerollt.
(Archivfoto: fotolia/clombumbus)
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BINGERBRÜCK - Noch ein öffentlicher Auftritt im Gottesdienst in der evangelischen Gustav-Adolf-Kirche am kommenden Sonntag (18 Uhr), dann wird das Buch zugeklappt. Nach 138 Jahren ist der Männergesangverein Bingerbrück, Träger der Zelter-Plakette, Ende dieses Monats Geschichte. Das langsame Sterben der Gesangvereine hat auch Bingerbrück erreicht.
Drei aktive Damen berichten über ihre Zeit im MGV. „Wer uns hört, sagt immer, dass wir mit unseren Stimmen weitermachen sollen“, erzählen Elsbeth Gilbert und Anita Bredel. Gemeinsam mit Helga Rohé bilden sie seit vielen Jahren die Vorstandsspitze, sind aber noch viel mehr: Sie sind seit Gründung des Gemischten Chores im MGV dabei, blicken auf 50 Jahre aktives Singen zurück. Damals, 1969, war die Zahl der Sangesbrüder von ehemals 90 auf rund 30 Mann zurückgegangen. Deshalb formierte sich der MGV unter Theo Fischer neu, der dem Chor von 1950 bis zum Jubiläum 1981 als Dirigent vorstand. Dem Musikprofessor verdanken Gilbert und Bredel genauso wie die anderen Sänger viel. „Er hat uns gut geschult“, sagen die Frauen.
Mit dem Namen Theo Fischer verbunden ist die musikalisch wohl wichtigste Zeit des MGV. Vieles reihte sich aneinander, von dem andere Chöre nur träumen konnten. Schallplattenaufnahmen, Rundfunk-Direktübertragungen, große Konzerte – oft gemeinsam mit dem Landespolizei- oder dem SWF-Orchester – sowie ein gemeinsamer Abend mit den Hitchin Thespians 1979. Mit Letzteren bestand eine Freundschaft; es kam zu manch gegenseitigem Besuch. Und 1969 kam es eben auch zum ersten Auftritt des Gemischten Chores anlässlich des Winzerfestes.
Rückblick: Als sich im Jahr 1881 der Vorgängerverein „Arion“ gründete, gehörte Bingerbrück noch zu Weiler, wurde erst als eigene Ortschaft anerkannt. Nach dem Kriegerverein, der in Folge der Franzosenkriege 1870/71 gegründet wurde, war der MGV der älteste Bingerbrücker Verein. Ziel des MGV war, „den Bewohnern von Bingerbrück und hauptsächlich den Mitgliedern des Vereins durch Gesang, deklamatorische, musikalische, humoristische, theatralische Unterhaltung Genußreiches darzubieten“, so heißt es in der Chronik.
Am 8. Januar 1882 organisierte der MGV eine Theatervorstellung mit nachfolgendem Ball. Das Vereinsleben bestand aus Theater, Ausflügen, Stiftungsfeiern und Fastnachtsunterhaltungen. 1885 wurde über die Bildung eines gemischten Chores nachgedacht. Die Idee allerdings wurde verworfen, ein Jahr später nahm man vielmehr die Planung eines Männerchores verstärkt in Angriff.
Fahnenweihe mit Festzug durch Bingerbrück
Der langjährige MGV-Chef Alfons Krupp fasste die ersten 100 Jahre in der Jubiläumsfestschrift zusammen. Am Nachmittag des 15. Juli 1888 wurde die Fahnenweihe mit einem Festzug durch ganz Bingerbrück abgehalten. Als nächster Höhepunkt im Vereinsleben steht am 27. Oktober 1889 ein „recht vergnüglicher Abend“ zum neunjährigen Stiftungsfest. Herren zahlten eine Mark Eintritt, eine Dame war frei, jede weitere zahlte 50 Pfennig. Der 25. Geburtstag wurde mit Festkommers und Ehrungen, Konzert und Ball gefeiert. Beim 40-Jährigen waren gar 29 Vereine am Gesang-Wettstreit beteiligt. Im gleichen Jahr (1921) trat der MGV dem Deutschen Sängerbund bei. Sieben Jahre nach dem goldenen Jubiläum fand die Wiedervereinigung mit dem MGV Rheingold statt, der sich 1905 abgespalten hatte. Der Name lautete nun schlicht „Männergesangverein Bingerbrück“. Am Dienstag, 13. Juni 1950, gab es die erste Gesangsstunde nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das letzte große Konzert stieg 2009 gemeinsam mit dem Landespolizeiorchester in der Mehrzweckhalle. Einmal trat der MGV danach noch beim Viertälersingen in Trechtingshausen auf, Stammgast blieb der Chor auf dem Bingerbrücker Weihnachtsmarkt, lange Zeit auch beim Winzerfest. Es gab regelmäßig das Frühlingssingen im Martin Luther-Stift und in anderen Seniorenheimen.
Zuletzt hatte der Chor noch 22 aktive Sänger, darunter noch vier Männer, plus 23 passive Mitglieder. Drei Gründe gibt es für die Auflösung, die direkt im Anschluss an die Jahresversammlung am 27. März in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung beschlossen werden soll. Helga Rohé spricht einmal von der Überalterung, dem fehlenden Nachwuchs. Dazu kommt, dass sich Leiterin Beate Treiling zurückziehen möchte und der Probesaal wegen der Sanierung des alten Rathauses am 6. April geräumt sein muss. Das Archiv mit 60 großen Aktenordnern und allem, was den Verein in 138 Jahren ausgemacht hat, wird aufgelöst. Die Fahne ist bereits seit Langem verschwunden. Der MGV folgt ihr nach.