Binger VHS zählt zu den größten Einrichtungen im Land
Von Erich Michael Lang
Reporter Rheinhessen
Auch in der Stadt dabei: VHS-Kursteilnehmer beim Firmenlauf im Park am Mäuseturm 2017. Archivfoto: vhs
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BINGEN - Perspektivwechsel: Wie wäre es, die Volkshochschule (VHS) mal nicht als Bildungseinrichtung, sondern als Bildungsunternehmen zu sehen? Da ergeben sich verblüffende Einsichten. 2017 hat die VHS mit 60 000 Unterrichtsstunden insgesamt zwei Millionen Euro umgesetzt. 2007 waren es noch 16 000 Stunden und 700 000 Euro Umsatz. In diesem Jahr haben 1000 Kandidaten an der VHS Prüfungen abgelegt.
Halbjahresprogramm mit 242 Seiten
30 festangestellte Mitarbeiter zählt das Unternehmen und nach den Unterrichtsstunden gemessen ist die VHS die viertgrößte Einrichtung ihrer Art in ganz Rheinland-Pfalz. Das Organigramm der Führungs- und Geschäftsstruktur würde jedem großen Chemiekonzern alle Ehre machen. 242 Seiten dick ist das gerade erschienene Halbjahresprogramm 1/2018 und liegt gewichtig auf dem Tisch wie der Geschäftsbericht eines Dax-Konzerns.
Mit solchen unternehmerischen Eckdaten und Leistungen im Rücken könnte sich jeder Vorstandsvorsitzende bei der Aktionärsversammlung entspannt im Sessel zurücklehnen. Tatsächlich erzählt VHS-Leiter René Nohr – die erfreuliche Sachlage selbstbewusst vor Augen – heiter von der Unternehmung und ihren Perspektiven, auch wenn er keine Aktionäre vor Augen hat. Die Entwicklung der letzten Jahre, so Nohr, habe dazu geführt, dass die VHS immer neue Bereiche zum eigentlichen Kerngeschäft für sich erschlossen habe. „Die klassischen VHS-Kurse machen inzwischen gerade mal noch 45 Prozent aus“, sagt Nohr. Stark gewachsen ist vor allem der gesamte Bereich der Integration. „Von der ersten Stunde an“ sei die VHS als zertifizierter Bildungsträger dabei gewesen. „Es ist der große Bereich an der VHS geworden“, so Nohr. Nach den Ursachen für diese dynamische Entwicklung befragt, fügt er, auf die Zögerlichkeit manch anderer Bildungseinrichtung verweisend, mit unternehmerischem Schneid hinzu: „Wir fackeln nicht lange rum.“
KUNSTWERKSTATT
Gut entwickelt hat sich auch die Junge Kunstwerkstatt. Mit zwei Kursen wurde vor sechs Jahren gestartet. Jetzt sind es 60 Angebote, die von 300 Kindern wahrgenommen werden.
Allerdings zeichnet sich nach der ersten Hochzeit in der Flüchtlingsbetreuung auch ab, dass die VHS sich wieder neu orientieren muss. „Das kann nicht auf ewig so bleiben, es wird eine Konsolidierung geben“, sagt Nohr. Und das heißt, dass sich der Schwerpunkt von den Sprach- und Integrationskursen zu den berufsqualifizierenden Maßnahmen verlagern wird. Die VHS mitvollzieht, was auch in der Flüchtlingsarbeit Thema ist: Nach dem Ankommen geht es um Integration durch Arbeit und Wohnen. „Völlig offen bleibt die Frage nach dem Familiennachzug. Sollten Familienangehörige nachkommen, wäre natürlich auch das Intergrationsangebot stark gefordert“, so Nohr. „Bis das klar ist, werden wir andere Projekte anpacken. Aber das Wachstum wie bisher werden wir dabei sicherlich nicht haben; dennoch können wir die Mitarbeiterzahl halten.“
Allein die Beratungsleistungen der VHS haben stark zugenommen und werden weiter steigen, berichtet Petra Fleischmann von der VHS-Bildungsberatung. „Wir haben viele positive Rückmeldungen. Wichtig für unsere Arbeit ist auch, dass die Arbeitgeber in der Region zahlreiche Praktikumsplätze zur Verfügung stellen“, sagt Fleischmann.
Ein Zukunftsthema für die VHS werden neue Lernformen sein, online-Module, die mit den Präsenzphasen der Kursteilnehmer verknüpft werden. Ein weiteres Thema ist die Grundbildung und die Frage, wie der Kreis, an den sich diese Angebote richten, erreicht werden kann. „Wir erfüllen durchaus auch Leistungen einer sozialen Einrichtung“, unterstreicht Nohr. Das neue Domizil in Bingerbrück werde unterdessen der Musikschule allein viel mehr Freiräume verschaffen, weil sie vom zeitlichen Korsett der VHS befreit ist. Tja, und das Mutterhaus am Freidhof bleibt nach wie vor die eigentliche Baustelle. „Das Gebäude steht im krassen Gegensatz zu dem, was wir tun“, beklagt Nohr.