Zahlreiche Menschen ziehen jedes Jahr nach Bingen. Beim Neubürgerempfang werden sie willkommen geheißen.
Von Christine Tscherner
David Böhm aus Hamburg und Maria Piendl aus München haben etwas in der Mitte gesucht. Ihre Wahl fiel auf Bingen, auch weil die Wohnung bezahlbar ist.
(Foto: Christine Tscherner)
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BINGEN - „Wir sind aus beruflichen Gründen schon viele Male umgezogen, aber so ein nettes Willkommen gab es noch nie.“ Volkhard und Negin Pfaff schlendern mit Weinglas und Neugier durch das Kulturzentrum. Der Neubürgerempfang zielt auf frisch Zugezogene. 125 von 1177 Bürgern, die sich in den vergangenen 12 Monaten neu in Bingen angemeldet hatten, folgten der städtischen Einladung. Ein Coup, der hohe Sympathiewerte einbrachte. Die AZ hörte sich nach Gründen für Bingen als Wahlheimat um.
Die romantischste Geschichte erzählen David Böhm und Maria Piendl, er aus Hamburg, sie aus München. „Wir haben eine Stadt in der Mitte gesucht, um zusammenzuziehen“, sagt das Paar. Sie wird in Mainz eine Psychotherapeuten-Ausbildung beginnen, er für den Job in die Eifel pendeln. Jetzt trennen sie keine knapp 800 Kilometer mehr und die Wohnung ist bezahlbar, darauf kam es an.
Laugengebäck und Wein, für Kinder einen Tisch mit Stiften und Süßigkeiten, dazu ein ziemlich breites Aufgebot an Infomaterial und städtische Mitarbeiter für den Erstkontakt – das ist das Konzept. Während die Stadtplanung die Tunnellösung am Rhein-Nahe-Eck erklären könnte und die Stadtwerke Busfahrpläne ausbreiten, sind die Tische der Tourist-Information umlagert. Besonders Karten-Material zu Wandertipps ist gefragt.
Knapp 80 Neubürger nutzten die Chance zu Stadtführungen vorab. „Wir haben nette Ecken der Stadt kennengelernt, die wir sicher sonst nicht entdeckt hätten und Anekdoten erfahren“, lobt Johanna Kroeschell. Sie hatte mit Mann und Kindern den weitesten Umzug zu meistern. Nach zehn Jahren Kenia kehrt die Familie zurück nach Deutschland. Rasch fanden die Afrika-Heimkehrer in TH-Nähe ein neues Zuhause.
Bürgermeister Thomas Feser hieß alle Neubürger herzlich willkommen. Er berichtet von jährlich steigenden Einwohnerzahlen des Mittelzentrums, vom Hightech- und Logistik-Standort Bingen, von der Nähe zu Rhein-Main und „weichen“ Standortfaktoren wie Kultur, breitem Schulangebot, Kindergärten, Museen und Sport-Vielfalt.
Aber wer den Mietvertrag oder den Hauskauf bereits unterzeichnet hat, der fühlt sich von dem Imagefilm und den Stadtchef-Worten allenfalls in der Wahl bestätigt. „Die Immobilie passte, sonst wären wir auch nach Wiesbaden oder Ingelheim an unsere Arbeitsorte gezogen“, sagt ein Paar aus Süddeutschland.
Anders bei Snjezana Matic, die seit zwei Jahren in Deutschland beruflich Fuß gefasst hat. Die Kroatin suchte die Nähe zu Freundinnen und Bekannten in Bingen. „Das war für mich sehr wichtig, um mich wohlzufühlen.“ Bei Familie Kron aus Mainz-Hechtsheim stand ein Grund glasklar im Vordergrund: „Wir wollten weg vom Fluglärm, ganz dringend“, sagt Kerstin Kron.
Nun gilt Bingen nicht gerade als Flüsterstadt wegen des Zug- und Straßenlärms, Pirouetten-Piloten und Rennbootmotoren und wahrscheinlich ab 2020 halbierter Flughöhe für den Frankfurt-Anflug. „Aber das ist nichts gegen den Fluglärm über Mainz“, hofft Martin Kron.
Ganz neu ist die Einladung an Neubürger nicht. Seit ein paar Jahren organisiert die Stadtverwaltung auf Initiative des Stadtrats das Willkommensangebot. „Der Einblick in die Geschichte war super, die touristischen Prospekte auch, nur für die Lokalpolitik fehlt uns ja noch komplett der Hintergrund“, fassen Gäste ihren Eindruck zusammen. Wie sich die Idee perfektionieren ließe? Sportvereine oder Fitnessstudio-Infos, dazu noch ein Hausarzt, eine Autowerkstatt und ein neuer Freundeskreis für die Kinder – Bingen-Starter haben eine lange To-do-Liste. „Meganett, so einen Willkommensabend hätten wir überhaupt nicht erwartet“, sagt die Münchnerin Maria Piendl. Allein die städtische Post mit der Einladung signalisiere überraschende Herzlichkeit.