Bezahlbarer Wohnraum ist auch in Bingen ein Problem
Der Talk im Wohnzimmer der Caritas widmete sich dem Thema auf dem Binger Rathausplatz. Fazit: Es muss etwas geschehen.
Von Sören Heim
Talkrunde mit Zuschauern auf dem Rathausplatz: Auch in Bingen gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum.
(Foto: Sören Heim)
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BINGEN - Gibt es in Bingen ein Problem mit bezahlbarem Wohnraum? Wenn ja, wie groß ist das Problem? Und wie kann man Abhilfe verschaffen? Diese Fragen diskutierten im Rahmen des „Talk im Wohnzimmer“ der Caritas am Mittwochvormittag Landrätin Dorothea Schäfer, Bürgermeister Ulrich Mönch, der stellvertretende SPD-Vorsitzende Sebastian Hamann, Pfarrer Olliver Zobel, Ulrike Krenz von der Caritas und der Leiter der Binger Wohnungslosenherberge Sascha Horn. Zwischen Stellwänden, auf denen Wohnungsnot und Obdachlosigkeit thematisiert werden, wurde mit Sesseln der Binger Rathausplatz kurzerhand zum Wohnzimmer umfunktioniert. Es moderierten Christiane Sieben und Georg Wörsdörfer (beide Caritas).
Als sehr problematisch bezeichnete Hamann die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Bingen. Die Mietpreise zwischen 2012 und 2017 seien um über 30 Prozent angestiegen, damit befinde sich Bingen auf Platz zehn deutschlandweit. Auch die Stadt habe ihren Anteil an Engpässen, da Teile des kommunalen Wohneigentums veräußert worden seien. Auch Bürgermeister Ulrich Mönch sieht eindeutig ein Problem, allerdings eines, das er nicht überdramatisiert wissen möchte. Von Situationen wie in Großstädten sei Bingen weit entfernt, entsprechend könne man das Problem in den Griff bekommen. Es stimme, dass vor einigen Jahren eine Wohnraumanalyse der Stadt nahegelegt habe, 150 der gut 250 bestehenden Sozialwohnungen zu veräußern. Aber nach dem Verkauf erster Immobilien und Verschiebungen am Wohnungsmarkt sei man davon abgekommen. Derzeit halte die Stadt noch 213 Sozialwohnungen und suche nach neuen Wegen, mit dem Problem umzugehen. Aber langfristige Entwicklungen und vielleicht auch frühere Fehler ließen sich nicht über Nacht korrigieren.
Dass ein Problem besteht, sieht auch Horn: Von 320 auf 470 Euro sei innerhalb weniger Jahre die Grenze gestiegen, bis zu der das Jobcenter Mieten für Einzelpersonen bezahle. Die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter gestalte sich dabei, wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung gefunden habe, übrigens sehr gut. Aber: „Das Finden ist oft das Problem!“ Mit einem Jahr Wartezeit müsse man rechnen.
Und wie können Städte und Gemeinden nun Abhilfe schaffen? Allein über städtische Neubauprojekte nicht, ist Mönch überzeugt. Er führt Bauarbeiten im Bubenstück an, wo die Stadt eine Quote für private sozialgebundene Wohnungen durchsetzte. Ein Weg, der allerdings nur gangbar sei, wo der Stadt die Grundstücke gehören. Ansonsten könne man auf Investoren einwirken, ihnen Quoten aber nicht aufzwingen. Wenig Hoffnung setzt wiederum Hamann in klassische Wohnungsbaugesellschaften, die Sozialwohnungen anbieten. Gerade hier würde jede Möglichkeit zur Mietsteigerung ausgeschöpft, und selbst mit Einkommen oberhalb des Mindestlohnes könne man sich Wohnungen kaum leisten. An ALG-II-Bezieher wiederum, fügt Caritasmitarbeiterin Ulrike Krenzel hinzu, würden teilweise regelrechte Schrottimmobilien vermietet. Verschimmelte Wohnungen, ohne Fenster. Und das Jobcenter könne es verwaltungstechnisch nicht leisten, die Miete zurückzuhalten, bis Vermieter die Mängel abgestellt haben.
Die Vermietung eigentlich nicht bewohnbarer Immobilien und die Probleme, die sich beim Wohnungswechsel ergeben, seien ein Thema, das sie gerne weiter verfolgen möchte, so Landrätin Dorothea Schäfer. Auch, um an belastbare Zahlen zu gelangen: Handelt es sich um Einzelfälle oder gibt es Vermieter, die das zum System erhoben haben?
Als positives Gegenbeispiel nannte Pfarrer Olliver Zobel den Mainzer Verein für Flüchtlingshilfe. Mit dem Verein habe sich die Kirche entschlossen, gezielt Wohnungen zur sozialen Vermietung aufzukaufen, was bisher gut funktioniere. Mehr Menschen sollten sich so etwas trauen, findet er. Denn das Jobcenter sei ein sicherer Mieter, man müsse nicht immer nur auf die größte Rendite schielen. Die Politik könne Rahmenbedingungen setzen, aber es brauche auch solch privates Engagement.
Viele Informationen, eine angeregte Debatte und die geteilte Überzeugung: Es muss etwas geschehen. So weit die Bilanz des „Talk im Wohnzimmer“. Im Anschluss an die Diskussion konnten Gäste noch mit den Caritasmitarbeitern bei einem Kaffee ins Gespräch kommen und sich an den Stellwänden intensiv zu den Themen des Tages informieren.