Mit dem Schandfleck soll bald Schluss sein – der verfallene, denkmalgeschützte Bau soll künftig Büros für Brückenprüfer beherbergen.
Von Erich Michael Lang
Reporter Rheinhessen
OB Thomas Feser ist froh, dass mit der Renovierung des Reiterstellwerks nun endlich der „Schandfleck an exponierter Stelle“ verschwindet.
(Archivfoto: Christine Tscherner)
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BINGERBRÜCK - Rund 700 000 Euro nimmt die Deutsche Bahn in die Hand, um das ehemalige Reiterstellwerk in Schuss zu bringen. Trauriger Verfall bestimmte seit Jahrzehnten die Optik am denkmalgeschützten Bau. Konzept und Wille fehlten. Verlotterter Look als erster Binger Eindruck? Geht gar nicht. Nun hat die Bahn als Eigner die Weichen für das Gebäude neu gestellt.
Auf AZ-Nachfrage zum Terminplan antwortet die DB-Pressestelle: „Mitte 2020 können die Büros voraussichtlich bezogen werden.“ Büros? Ja, die Konstruktion aus dem Jahr 1936 birgt einen lang gestreckten Bürotrakt über dem 70 Meter langen Fußgänger-Steg. Alte Bahner wissen: Die Räume über den Gleisen waren über Jahrzehnte Arbeitsplätze für Bahner. Das sollen sie wieder werden.
Aus Idee vom Info-Zentrum wurde nichts
Bingerbrücker Vereine hatten bald nach dem Auszug 1996 Interesse an der Nutzung signalisiert. Und die Idee vom Info-Zentrum für das Welterbe-Tal spukte durch die Köpfe. Aus all dem wurde nichts. Vandalismus im Leerstand folgte, zerschlagene Scheiben, Uringestank im Gang und trauriger Verfall.
Mit der Landesgartenschau wurde wenigstens die Brückenfunktion wieder wichtig. Der Reiter bot Zugang von der B 9 zum Park am Mäuseturm, wurde für Premium-Wanderwege vom Stadtgebiet in die touristische Wanderregion ausgeschildert. Weiterhin blieb eine Bahn-Tochter Eigentümerin des Bauwerks.
Die Untätigkeit des Unternehmens war nicht nur für den engagierten Heimatforscher Carl Woog seit Jahren ein Dorn im Auge. Denn: In einer der schönsten Landschaften Deutschlands passe die Ansammlung verkommener Gebäude rund um den Hauptbahnhof einfach nicht ins Bild. Verschönerungsideen mit Anstrich oder bedruckten Bannern versandeten. Lage und Optik zählten als Impuls anscheinend wenig. Die DB-Sprecherin schreibt: „Der Erhalt des Stellwerks basiert auf Denkmalschutzauflagen.“ Es gelte, das Bauwerk langfristig zu erhalten und Verkehrssicherheitsgefährdungen auszuschließen. Dafür sei die Gebäudenutzung Grundvoraussetzung. Weitblickend war nämlich bereits 2005 das einhellige Votum im Binger Ausschuss mit der Unterschutzstellung des Reiters als Kulturdenkmal. Die verlotterte Brücke soll ein Denkmal der Industriegeschichte sein? Was damals für einiges Kopfschütteln der Bürger sorgte, wurde nun zum Hebel.
Das Argument der Denkmalpfleger: Der gemauerte Turm aus Schieferbruchstein passe sich den Burgen der Rheinromantik an. Die Stahlkonstruktion im Anschluss sei für ihre Zeit hochmodern mit „expressivem Charakter“. Aber 700 000 Euro für sechs bis acht Mitarbeiter klingen schon recht üppig.
Schall- und Vibrationsschutz für richtige Arbeitsplätze direkt über einer der am stärksten frequentierten Bahnstrecken Deutschlands wirken aber wohl nur für Laien problematisch. Konkret zählt die Bahn Mauerwerk, Korrosionsschutz, Treppenaufgänge und Fenster für die Sanierung auf. Bereits im vergangenen Jahr sei das Gebäude entkernt worden.
„Neben Versorgungsleitungen werden Brand-, Wärm- und Schallschutz erneuert“, so die DB. Einziehen werden Brückenprüfer. Ihr Job: Standfestigkeitsschäden in Rheinland-Pfalz und Teilen Hessens feststellen, sagt die DB. „Die Begehbarkeit des Brückenstegs bleibt nach der Instandsetzung erhalten“, so die Information der städtischen Pressestelle. Auch die Verwaltung spricht von „langwierigen Verhandlungen“ über Jahre mit der Bahn. OB Thomas Feser ist darum froh, dass im Hinblick auf das Bundesgartenschaujahr 2029 der „Schandfleck an exponierter Stelle“ saniert wird.
Denn wer auf der B 9 aus Richtung Loreley anreist, dem bietet sich ausgerechnet auf Höhe des Mäuseturms ein Bild des Niedergangs. Mit der Renovierung des Reiters hat das heruntergekommene westliche Entree der Stadt hoffentlich ein Ende.