Narbengewebe in der Achselhöhle schränkten den Jungen stark ein. Die Interplast-Initiative Rhein-Main ermöglichte die Behandlung des Brandopfers im Binger Krankenhaus.
Von Christine Tscherner
Ilknur Canboy (v.l.), Julio Manuel, Gabi Schweig, Andrea Malz auf Station 2. Bei der Operation wurde dem Jungen Narbengewebe aus der Achselhöhle entfernt.
(Foto: Christine Tscherner)
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BINGEN - Julio Manuel ist Pechvogel und Glückspilz zugleich. Der Junge verbrannte sich als Siebenjähriger in seiner Heimat Angola schwer. Wulstige Narben an Gesicht und Oberkörper trug er von dem tragischen Unfall davon. Die Interplast-Initiative Rhein-Main ermöglichte eine Operation des Jungen im Binger Krankenhaus.
Die Verbrennungsnarben zeichnen den Unterkiefer des Kindes. Zart für einen Achtjährigen, aber topfit und lachend wartet Julio mit gepackter Tasche auf den Bus. Nur fünf Tage nach dem Eingriff an der Achselhöhle kann er die Binger Station wieder verlassen. „Wir vermuten einen umgestürzten Topf mit kochender Suppe als Ursache“, sagt Dr. Ruth Alamuti-Ahlers. Sie kennt die klassischen Spuren verbrühter Haut.
Hauptrisiko in Ländern wie Angola sind die Kochstellen auf offenem Feuer. Das Problem insbesondere bei Kindern: Narbengewebe ist weniger dehnbar als gesunde Haut. Kinderkörper wachsen, doch Narbenstränge können die Beweglichkeit massiv einschränken. So hinterlassen Unfälle wie bei Julio oft großflächige Wunden, die zwar verheilen, aber körperliche Behinderungen verursachen.
Ein Jahr nach dem Unfall wurde das Wulstgewebe in der Achselhöhle von Julio wie eine Zurrschlinge für seinen Arm. Weil Spezialisten in Angola fehlen, kam Julio als Kandidat auf die Liste für einen Interplast-Flug nach Deutschland.
Alamuti-Ahlers gilt inzwischen als feste Ansprechperson im Interplast-Team um Initiator André Borsche. Sie weiß das Binger Krankenhaus auf ihrer Seite und die Stationsmannschaft hinter sich. Mit der neuen Achselhaut für Julio ist die Chirurgin hoch zufrieden. „Wir kamen ohne Hautverpflanzung aus und konnten eine halbwegs gesunde und elastische Hautstelle operativ verschieben.“
Knapp zwei Stunden war das Team im OP-Saal beschäftigt. Zwar operieren Ärzteteams wie in Bingen unentgeltlich. Aber Betten, Logistik über Kontinente und der OP-Saal kosten dennoch viel Geld. Spenden sind deshalb nötig. Von Lionsclub bis Büdesheimer Kerb fanden sich bislang immer Unterstützer. Julio ist das fünfte Kind, das am HGH von Operationen und stationärer Pflege profitierten. Der Junge wäre in Angola behindert geblieben. Das Land ist nach vier Jahrzehnten Kriegszustand ausgezehrt.
Nur ein Drittel der Bevölkerung hat Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung. Jährlich sterben tausende Menschen an Krankheiten wie Durchfall oder Atemwegsentzündungen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist teilweise oder vollständig von ausländischen Nahrungsmittelhilfen abhängig. Die Unterernährung gilt als nicht mehr ganz so drastisch wie vor der Jahrtausendwende. Doch rangiert die Kindersterblichkeit in Angola auf Platz zwei weltweit; trotz Reichtum an Bodenschätzen wie Diamanten.
Das Friedensdorf International im Ruhrgebiet war Zwischenstation für Julio und die anderen kleinen Interplast-Patienten. Drei Wochen verbrachte der Junge dort zur Eingewöhnung bis zur Operation. Am Dienstag holte ein Friedensdorf-Fahrer ihn zusammen mit einem anderen angolanischen Kind aus Worms zurück in die Betreuung. Der Rückflug ist für Ende Februar angesetzt.
Bereits Anfang Februar sitzt Ruth Alamuti-Ahlers zusammen mit ihrem Binger Kollegen Alexander Rieger selbst im Flieger. Das Ziel: Burkina Faso. Nein, wieder kein klassisches Touristenziel, sondern ein erneuter Freiwilligen-Einsatz. Die Chirurgin und der Anästhesist am HGH spenden Urlaub und Wissen für das westafrikanische Land, ebenfalls bitterarm.
Plastische Chirurgie ist nicht nur Lifestyle
In Deutschland reicht das Arbeitsfeld von Ruth Alamuti-Ahlers von Fettabsaugen über Schlupflider bis Brustaufpolstern. Lebenspraktische Hilfe von Verbrennungsopfern und Kriegskrüppeln versteht sie als die andere Seite ihres Jobs. Plastische Chirurgie ist eben nicht nur Lifestyle.
Einmal pro Woche operiert sie in Bingen Hautkrebs, abstehende Ohren, Fettschürzen und Brüste. Die kosmetische Richtung gehört für sie selbstverständlich zum Fach. Aber eben nicht ausschließlich. Und genau das macht die Ärztin und ihr Engagement so sympathisch.
Seit 1999 ist die Medizinerin Mitglied des zehnköpfigen Bad Kreuznacher Interplast-Teams, einem gemeinnützigen Verein für plastische Chirurgie in Entwicklungsländern.