Mit dem literarischen Quartett schließt die Reihe ab. Die Veranstalter sind mit der Resonanz sehr zufrieden. Gelesen wurde Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“.
Von Sören Heim
Das literarische Quartett, diesmal als Terzett, weil die vierte Podiumsteilnehmerin verhindert war (v.l.) Tobias Strunk, Satu Bode und Walter Eichmann.
(Foto: Sören Heim)
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BINGEN - Das Literarische Quartett ist auch im dritten Jahr von „Bingen liest ein Buch“ ein Höhepunkt der Veranstaltungsreihe, zum ersten Mal ist die Debatte im Haferkasten-Keller zudem auch der offizielle Abschluss.
Einen guten Monat haben wohl über hundert Leser sich mit Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ auseinandergesetzt. Die sechs Exemplare der Stadtbibliothek waren durchweg vergriffen, mehr als 70 Ausleihen kamen so zusammen. In der Buchhandlung Schweikhard zählt man etwa 40 verkaufte Exemplare. Noch einmal stand am Freitag der Roman im Mittelpunkt, in dem vier Generationen ihr Verhältnis zur DDR austarieren – die älteste Generation überzeugte Kommunisten, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben. Der Jüngste ist an Politik höchstens noch als Mittel der Provokation interessiert. Miteinander und vor allem mit dem Publikum diskutierten Satu Bode, Leiterin der Stadtbibliothek, Walter Eichmann, unter anderem ehemaliger Moderator des Binger Literaturschiffs, und Tobias Strunk, Mitorganisator der Reihe. Kurzfristig verhindert war Jasmin Marschall von der Gau-Algesheimer Buchhandlung Herr Holgerson. So musste das literarische Quartett in Bingen als Trio stattfinden.
Und das Trio verbrachte nur wenig Zeit mit Vorgeplänkel. Strunk rief dem Publikum noch einmal kurz die Handlung ins Gedächtnis. Eichmann ging auf die besonderen strukturellen Eigenschaften des Romans ein, der zwischen Szenen aus der Vergangenheit, dem 90. Geburtstag des alten Kommunisten Wilhelm und der Mexikoreise von dessen an Leukämie erkranktem Enkel Alexander springt. Das Publikum aber zeigte sich bald durchweg im Roman zuhause, sodass sich eine detaillierte Einführung als gar nicht nötig erwies.
Rege Debatten und gut besuchte Veranstaltungen
Rege debattiert wurden die Figuren und ihr Verhältnis zueinander. Ist Alexander tatsächlich ein verhätschelter Junge, der immer wegläuft? Oder ist das nur die Perspektive des Vaters? Hat Kurt aus seiner Lagerhaft nichts gelernt? Und wer hat im ewigen Kampf zwischen Gertrud und Wilhelm eigentlich die Oberhand behalten? Es sei faszinierend, so Strunk, dass Autor Ruge keine einfachen Antworten und Erklärungen liefere. Man sei immer „unglaublich schnell drin“ in der Perspektive des jeweiligen Kapitels, aber die nächste Perspektive schon könne alle Gewissheiten umwerfen. Dennoch kämen manche Figuren vielleicht etwas besser weg.
Sie finde etwa den Weg der russischen Ehefrau Kurts, Irina, sehr spannend. Sie bleibe eine starke Figur durch den ganzen Roman, so Bode. Und im Publikum und auf dem Podium erkannte man die alte Baba Nadja als einen Ruhepol der Geschichte: Zwar sprachlich nie wirklich integriert, aber auch von allen Verwicklungen, selbst noch vom Zusammenbruch der DDR, relativ unbeeindruckt. Ist „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ nun in erster Linie ein politischer Roman, vielleicht gar eine Allegorie, oder ein Familienroman, quasi die „Buddenbrooks des Ostens“? Dass Ruge immer wieder Szenen aus dem Familienleben politisch auflade, zeigte Eichmann anhand der missglückten Zubereitung einer Gans und einer Debatte über den Weg des Sozialismus. Dennoch berühre der Roman in erster Linie durch die Charaktere und sei eben kein Thesenroman, hielten Strunk und Bode dagegen.
Ein Familienroman, der die gesamte Geschichte der DDR und einen Teil der Nachwendezeit umspannt, sei wohl notwendig politisch: Darauf wiederum konnten sich Publikum und Podium einigen.„Bingen liest ein Buch“ geht für dieses Jahr zu Ende. Die Kooperationspartner von Volkshochschule, Stadtbibliothek, KiKuBi und Binger Bühne zeigen sich hoch zufrieden: Die Veranstaltungen waren gut besucht, es wurde nicht nur viel gelesen, es entspannten sich auch lebhafte Debatten.
Natürlich solle es im nächsten Jahr weitergehen, verrät René Nohr für die Volkshochschule. Ein neuer Roman sei noch nicht ausgewählt, fügt Strunk hinzu. Alle Beteiligten freuen sich entsprechend über Ideen. Nur: Gesellschaftlich relevant müsse der Roman sein. Man wolle ja wieder entsprechend spannende Veranstaltungen rund um den Roman gestalten.