Vor 100 Jahren in Weinsheim geboren: Schnuckenack Reinhardt
Der weltberühmte Sinti-Jazzmusiker kam am 17. Februar zur Welt. Warum die Geburt in einem Backes in Weinsheim erfolgte und er mit eiskaltem Ellerbach-Wasser getauft wurde.
Von Wolfgang Bartels
Der berühmte Jazz-Geiger Schnuckenack Reinhardt.
(Foto: Kubenka)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
WEINSHEIM - Genau 100 Jahre ist es her, dass im Weinsheimer Backes ein Junge zur Welt kam. Die Verwandten freuten sich, und einer sagte: „Hat der eine schöne Nase.“ Auf Romanes, der Sprache der Roma und Sinti, heißt schöne Nase „schnuker nak“ und das Kind, das eigentlich Franz getauft wurde, hatte den Namen, mit dem es weltberühmt werden sollte: Schnuckenack Reinhardt, der große Geigenmusiker und Jazzvirtuose der Sinti-Musik. Am 17. Februar 1921, an einem eiskalten Tag, wurde er im „Backes“, dem alten Back- und Rathaus, von Weinsheim geboren.
Kurz vor der Ankunft im KZ Tschenstochau entkommen
Schnuckenacks Eltern waren als reisende Händler mit dem Pferdefuhrwerk unterwegs zwischen den Wochenmärkten in Alzey und Idar-Oberstein. Durchreisende Handwerker und Händler konnten im Backes ein Dach über dem Kopf finden, so auch die Familie Reinhardt mit der hochschwangeren Mutter. Kaum war das Kind auf der Welt, hielt man ihm eine Geige und ein Stück Tuch in die Wiege, so geht die Legende. Der kleine Franz griff nach der Geige – also sollte aus ihm ein Musiker werden, nicht ein Händler. Ganz Weinsheim staunte, als das Neugeborene im eiskalten Ellerbach gewaschen wurde – die Taufe in der Tradition der Sinti. Vater Karl Reinhardt erkannte schnell das musikalische Talent seines Sohnes. Mit drei Jahren brachte er ihm das Geigenspiel bei. Die Familie zog in den 30-er Jahren nach Mainz, Schnuckenack konnte mit 17 das Peter-Cornelius-Konservatorium besuchen. Doch kurz darauf war Schluss. Die Familie Reinhardt wurde wie viele andere Sinti-Familien in ein Konzentrationslager im Osten abtransportiert, nach Tschen-stochau.
Doch kurz vor der Ankunft im KZ konnten die Reinhardts entkommen, tauchten unter und gaben sich im besetzten Polen als ungarische Musikerfamilie aus, fünf schwere Jahre lang. Die Familie entging mehrmals nur knapp der Erschießung durch die SS. In einer Talkshow schilderte Schnuckenack Reinhardt einmal unter Tränen, wie er vor SS-Soldaten wortwörtlich um sein Leben spielen musste. Er berichtete von der Angst, die immer allgegenwärtig war, vom jüngsten Bruder, der in Auschwitz ermordet wurde, und von den Gebeten der Mutter zur Schwarzen Madonna von Tschenstochau. Dieser Madonna widmete Schnuckenack ein Ave Maria. Jahrzehnte später sagte er im Rückblick: „Die Musik rettete uns das Leben. Die Geige war meine Waffe, mit der ich mich frei spielte.“ Nach der Befreiung konnte Schnuckenack nicht nach Mainz zurückkehren, dort war alles zerstört. Er zog ins fränkische Kulmbach, wo er für die 7. US-Army musizieren konnte.
Der berühmte Jazz-Geiger Schnuckenack Reinhardt. Foto: Kubenka
Die Gedenktafel am Weinsheimer Backes erinnert daran, dass hier vor 100 Jahren Schnuckenack Reinhardt zur Welt kam. Foto: Wolfgang Bartels
2
1967 gründete der Musiker das „Schnuckenack-Reinhardt-Quintett“, das einen seiner ersten Auftritte beim legendären Chanson-Festival auf der Burg Waldeck im Hunsrück hatte. Der Hunsrücker Theatermacher Hotte Schneider erinnert sich, wie mehrere Limousinen auf das Festivalgelände rollten: „Es entsteigen schwarzhaarige Kerle mit Schnurrbärten und allerlei Instrumenten wie Geigen, Gitarren und Kontrabass. Schnuckenack Reinhardt legt los mit von fast allen nie gehörtem Zigeunerjazz. Diese intensive und emotionsgeladene Musik lockt in Kürze die Zuschauer von der Bühne weg, wo das Programm unterbrochen wird. Zwei Stunden lang werden die Schnuckenacks beklatscht und bejubelt.“ Dieser Auftritt auf der Waldeck war für Reinhardt der Durchbruch ins internationale Musikgeschäft, entweder als Solo-Musiker oder in wechselnden Formationen. Er wurde mit dem Deutschen Schallplattenpreis und der Peter-Cornelius-Plakette des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Ab 1982 lebte Schnuckenack Reinhardt im baden-württembergischen Sankt Leon-Rot. Er verstarb am 15. April 2006 in Heidelberg. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Hauptfriedhof von Neustadt an der Weinstraße.
Wie es der Zufall oder die Vorsehung will, hat eine Verwandte von Schnuckenack Reinhardt nach Weinsheim geheiratet: die ehemalige Deutsche Weinkönigin Angelina Kappler, deren Familie mit den Reinhardts verwandt und verschwägert ist. Sie hat auch etwas von der musikalischen Ader der Reinhardts geerbt. Sie singt, spielt Gitarre und ist eine begnadete Flamenco-Tänzerin. Ein „Abend für Schnuckenack“, der im Rahmen der Weinsheimer 1250-Jahr-Feier mit der Ismael-Reinhardt-Combo, Angelina Kappler und der Bigband-Soundexpress geplant war, musste wegen Corona verschoben werden, aller Voraussicht nach ins nächste Jahr. Das wird dann auch die Veranstaltung sein, auf der Weinsheim des 100. Geburtstages seines berühmten Sohnes gedenkt.