Bretzenheimer: Pfarrer Lermen sammelt Spenden für Kirchenfenster
Pfarrer Wolfgang Lermen will seiner Kirche Kunst hinterlassen. Dafür sammelt er derzeit Spenden. Doch die Zeit drängt. Denn die Uhr arbeitet gegen den Pfarrer und sein Vorhaben.
Von Stephen Weber
Zentraler Reporter
Rechts das neue Fenster, hinten links das alte im Vorraum der Bretzenheimer Kirche.
(Foto: Sonja Flick)
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BRETZENHEIM - Für Pfarrer Wolfgang Lermen sind Zimmer voll mit Ikea-Möbel ein Graus. Alles gleich, alles aus einem Guss. Konservendosenmobiliar. Ohne Leben, ohne Vielfalt, wie er beklagt. Das soll seiner Kirche in Bretzenheim nicht passieren. Bevor er sich in den Ruhestand verabschiedet, möchte Pfarrer Lermen etwas Bleibendes an seiner Arbeitsstätte hinterlassen, etwas Einzigartiges. Und zwar Kunst – in Form von zwei weiteren Kirchenfenstern in der Eingangshalle. Doch die Zeit drängt.
Sofort nach Betreten des Vorraums des Bretzenheimer Gotteshauses sticht es ins Auge, das große, quadratische Fenster auf der linken Seite. Bunt, verspielt, symbolgeladen. Dreht man den Kopf weiter, entdeckt man links und rechts der Eingangstür zwei weitere, deutlich einfachere Buntglasfenster, ohne jede symbolische Botschaft. „Ich möchte diese beiden Fenster austauschen lassen und das Konzept des ersten Fensters weiterdrehen. Man soll den Raum als künstlerische Einheit begreifen“, erklärt Pfarrer Lermen. Deshalb sammelt er – wie beim ersten Fenster – Spenden, um seinen Wunsch zu verwirklichen. Und zwar so schnell wie möglich. Denn auch das ist Teil der Geschichte: „Die Uhr arbeitet gegen mich“, bedauert der Geistliche. „2021 gehe ich in Ruhestand, bis dahin muss ich das Projekt umgesetzt haben.“ Mit ihm, befürchtet Lermen, wird sich nämlich auch die Bereitschaft verabschieden, Geld für Kunst auszugeben.
Um die Idee von Pfarrer Lermen zu begreifen, muss man erst einmal die Bretzenheimer Kirche begreifen. Das Gebäude entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in den 50er-Jahren. Einfach, schnörkellos, funktional. „Geld war schließlich keines vorhanden.“ Lediglich bei drei bunten Fenstern auf der Empore machten die Erbauer 1958 eine Ausnahme – und hinterließen einen künstlerischen Fingerabdruck im Gotteshaus. „Das sind Zeitdokumente. Genau so etwas braucht eine Kirche, um lebendig zu bleiben“, schwärmt Pfarrer Lermen. Auch der Jesus am Kreuz, über dem Altar, ist solch ein Zeitdokument. Weil der Künstler, der die Figur schuf, in den 80er-Jahren verstarb, bevor er mit seiner Arbeit fertig war, fehlt dem Jesus bis heute der Dornenkranz. Lermen: „Auch diese Arbeit ist ein Ausdruck ihrer Zeit. In unserer Kirche sollte jede Generation durch Kunst vertreten sein.“
Rechts das neue Fenster, hinten links das alte im Vorraum der Bretzenheimer Kirche. Foto: Sonja Flick
Pfarrer Wolfgang Lermen will bis zu seinem Ruhestand den Vorraum der Kirche in eine künstlerische Einheit verwandeln. Foto: Sonja Flick
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Im Jahr 2011 beginnt Pfarrer Lermen deshalb, Spenden zu sammeln, um den Vorraum seiner Kirche künstlerisch aufzuwerten. 2016 wird das erste Fenster eingeweiht – mit dem Motiv „Frieden“. Lermen erklärt: „Wir haben dieses Thema als Einstieg gewählt, weil es der Anfang von allem ist. Ohne Frieden kannst du nichts aufbauen.“ Die Besonderheit des Fensters: Erst durch längeres Studieren wird deutlich, was sich alles in ihm versteckt. Wie der geduldige Blick in eine Wolke. So wird die Geschichte des Bretzenheimer Gefangenenlagers durch eine in einem Erdloch liegende Person symbolisiert. Wer weiter schaut, der stößt auf fliegende Fäuste oder einen Kampf zwischen zwei Hähnen. Gestaltet hat das Fenster die Künstlerin Maya B. Albrecht aus Essenheim. Sie soll, sobald genügend Geld zusammen ist, auch die beiden anderen Fenster kreieren. Kostenpunkt pro Fenster: 10 000 Euro. Das nächste Fenster, links neben der Eingangstür, soll ein sogenanntes „Brotfenster“ werden, wie Lermen es nennt. „Wenn der Frieden da ist, dann brauchen wir unser täglich Brot“, erklärt er. Brot, das kann die natürliche Grundversorgung sein, das Essen, um zu überleben. Es kann aber auch weit mehr sein. „Ein Symbol für Familie, Freunde, gute Nachbarn.“ Vor zwei Wochen hat Wolfgang Lermen mit der Künstlerin Albrecht seine Ideen zu diesem Fenster besprochen. Sobald die Entwürfe vorliegen, möchte die Bretzenheimer Kirchengemeinde sie kaufen.
SPENDENKONTO
Wer für die neuen Kirchenfenster spenden mag, dem steht dazu ein eigens eingerichtetes Spendenkonto zur Verfügung.
Auch für das dritte Fenster hat Lermen bereits ein Motiv im Kopf: Besuch und Begegnung. „Gerade in einer Zeit, in der wir uns immer häufiger nur noch virtuell begegnen, müssen wir uns deutlich machen, dass das keine echte Freundschaft ersetzen kann.“ Denn, auch das ist Pfarrer Lermen wichtig: Die Themen seiner Fenster, sie sollen die Themen der heutigen Generation sein. „Eine Kirche ist ein Mehrgenerationenhaus, jede Ecke muss die Herausforderungen ihrer Zeit aufarbeiten.“ Das mache sie erst interessant – „und unterscheidet sie von einem Ikea-Einrichtungshaus.“