Ein Alpaka beim Friseur: Reportage der Schur in Altenbamberg
Jedes Jahr müssen die Tiere auf der Zuchtfarm von Sibylle Klasing-Mann von ihrer Wolle befreit werden. Wie Mensch und Tier mit dem obligatorischen Termin umgehen.
Von Beate Vogt-Gladigau
Immerhin die Haare auf dem Kopf sind dem Alpaka vorne noch geblieben, das irgendwie an Ex-Bundestrainer Joachim Löw erinnert...
(Foto: Beate Vogt-Gladigau)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
ALTENBAMBERG - Vom Kuscheltier, das gar nicht so gerne geknuddelt werden möchte, zum Punk. So könnte die Kurzbeschreibung bei der Schur von Alpakas lauten, denn was nach der Schur als Haupthaar übrig bleibt, lässt sich durchaus mit den Ideen eines Star-Coiffeurs vergleichen – originell und kokett.
Einmal im Jahr müssen die Alpakas geschoren werden. „So schreibt es das Tierschutzgesetz vor“, erklärt Sybille Klasing-Mann, die mit ihrer Tochter Julia Zimmermann auf mehreren Hektar des Brücklocherhofs bei Altenbamberg die Sterntal-Alpaka-Zucht betreibt. Start war 2004 mit fünf Stuten und zwei Fohlen. Heute sind es insgesamt 26 Tiere, die die Indios einst vor rund 3000 Jahren domestizierten. Neben Huacayas genießen sieben Suris, die wie wandelnde Flocati-Teppiche aussehen und nur alle zwei Jahre von ihrem Fell befreit werden, ihr Dasein. Ihre Temperatur regulieren sie über die Bauchseite.
Der Tag der Schur rückt näher, denn Sergio Balcorta hat sich im Rahmen seiner „Deutschland-Tour“ angesagt. Der amerikanische Scherer, den Klasing-Mann als „einen der besten“ lobt, betreut in Good Old Germany ein Dutzend Alpaka-Farmen mit rund 200 Tieren, hat sein Handwerk vor neun Jahren bei einem Scherer gelernt, und zwar die sanfte Methode, unterstreichen Klasing-Mann und ihre Tochter. „Er ist sehr geduldig und schnell.“ Zwei bis fünf Kilo Wolle, die in Südamerika auch das „Gold der Inkas“ genannt wird, sind die Tiere nach der Schur leichter. In seinem Brotberuf ist Sergio Balcorta übrigens Software-Ingenieur bei Google. Erstaunlich aber beim Blick ins Portemonnaie: An einem „guten Tag“ verdient er nach eigenen Angaben durchs Scheren doppelt so viel wie bei dem Profi in Sachen Suchmaschinen.
Immerhin die Haare auf dem Kopf sind dem Alpaka vorne noch geblieben, das irgendwie an Ex-Bundestrainer Joachim Löw erinnert... Foto: Beate Vogt-Gladigau
Züchterin Sibylle Klasing-Mann mit einem ihrer noch ungeschorenen Alpakas. Foto: Beate Vogt-Gladigau
Ein frisch von seiner Wolle befreites Exemplar. Foto: Beate Vogt-Gladigau
Ist das Boris Johnson?Alpakas sind bekanntfür ihre extravagantenFrisuren.
Sorgfältig werden Grashalme und andere Fremdkörper aus der Wolle gezupft. Foto: Beate Vogt-Gladigau
Sergio Balcorta bei der Arbeit. Foto: Beate Vogt-Gladigau
Immerhin die Haare auf dem Kopfsind dem Alpaka vorne noch geblieben,das irgendwie an Ex-Bundestrainer Joachim Löw erinnert...
7
Wer am Tag X zur Islandpferde-Reitschule Brücklocherhof kommt, für den deutet zunächst nichts darauf hin, dass das ein besonderer Tag ist. Wer aber das hölzerne Tor zu den Alpaka-Ställen öffnet, wird von durchdringendem Brummen, Summen und motzigen Mööp-Lauten empfangen. Singen die Alpakas? Man hat fast den Eindruck. Jedenfalls sind sie sehr kommunikativ! Gewissenhaft nimmt Sergio von den Tieren, die zur Zucht dienen, eine Wollprobe: eine Handbreit unter dem Rückgrat. Sie wird zum Untersuchen in ein Faserlabor eingeschickt.
Im Gegensatz zur Schafschur, bei der die Tiere zwischen die Beine geklemmt werden und erstarren, werden Alpakas am Boden für die Schur, die Sergio in 6 bis 15 Minuten erledigt, fixiert – das ist für Tier und Mensch verletzungsfrei und auch für die Vierbeiner stressfreier. Außer für Josephine, auch Fine genannt. Sie ist die Diva unter den Stuten und mit 18 Lenzen schon betagt. Ihr Vlies ist nicht mehr wertvoll, und daher darf sie stehen bleiben.
Daphne hingegen nicht. „Sie ist supernervig“, stöhnt Simon Zimmermann. Die ganze Zeit sind Julia Zimmermann und ihr Mann dabei, nicht nur als Helfer, sondern auch als Bezugspersonen. Ulkig ist die Reaktion der Alpakas übrigens, wenn einer ihrer Artgenossen aus dem Gehege kommt, in dem Sergio seine Arbeit getan hat. Sie scheinen „Wer ist das denn!?“ zu brummen und finden den Artgenossen erst einmal sehr komisch.
Dann kommt Gimly an die Reihe. „Das ist unser Schweinchen“, lacht Simon Zimmermann. Denn das Tier wälzt sich allzu gerne im Dreck, frisst gerne im Liegen, sodass die anderen Alpakas um Gimly herum stehen müssen und die Reste des Futters auf das „Ferkelchen“ fallen.
Die „kontaminierte“ Wolle solcher Tiere ist natürlich ein Albtraum für Sibylle Klasing-Mann und für Sylvia Salamon, die im Hof mit „meditativem Wollezupfen“ beschäftigt sind. Sylvia Salamon gehört zu den Helfern. Denn an solch einem Tag ist nicht nur die Familie eingebunden, aufgeregt, wie sich der Tag entwickelt, sondern auch externe Unterstützung wird gebraucht. In diesem Jahr sind es Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, in der auch Simon Zimmermann aktiv ist.
Sisyphus-Arbeit
Trotz Sisyphus-Arbeit, wenn Grashalme oder andere Fremdkörper entfernt werden – das Lachen der „Zupferinnen“ überwiegt, und man könnte den Begriff „Wol(l)lust“ ganz neu definieren! Sie sortieren auch nach Qualität. Haare erster und zweiter Güte werden zu leichter und feiner Wolle gesponnen, die Grannenhaare der Brust sind kratziger und werden aussortiert für Einlegesohlen oder zum Filzen.
Die federleichten Pullis oder für den Sommer gewebten Tücher, die es in Klasing-Manns Lädchen gibt, haben einmalige Thermo-Eigenschaften: Die innen hohlen Fasern verfügen über eine super Isolation, speichern bei niedrigen Temperaturen die Körperwärme, bei hohen Temperaturen stoßen sie die Wärme ab. Außerdem enthält Alpaka-Wolle sehr wenig Wollfett. Daher können sich Bakterien auf der Oberfläche nicht vermehren, weshalb die Kleidungsstücke auch für Allergiker geeignet sind.