Volker Hertel hat schon mehrere Krähen großgezogen. Für Saatkrähe Malte stellt er besonderes Futter zusammen – eine haarige Sache.
Von Heidi Sturm
Ortsvorsteher Volker Hertel hat schon mehrere Krähen großgezogen. Saatkrähe Malte lässt sich gerne füttern.
(Foto: Heidi Sturm)
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BOSENHEIM - Wenn Dr. Volker Hertel derzeit ein bisschen „gestutzt“ aussieht, liegt das daran, dass er neuerdings einen Vogel hat. Der schwarze Kerl heißt Malte und ist eine junge Saatkrähe, die noch nicht ganz flügge ist und von Hertels aufgepäppelt wird. Und das ist tatsächlich eine haarige Angelegenheit, wie der Ortsvorsteher schmunzelnd versichert. Diese überwiegend pflanzenfressenden Rabenvögel kauen ihre Nahrung nicht, sondern schlucken sie hinunter, wo diese im „Muskelmagen“ von ebenfalls aufgenommen Steinchen zermahlen wird. Dazu braucht es noch „Ballaststoffe“ wie Knochen, Federn oder Fell, die später wieder als unverdauliche Bestandteile herausgewürgt werden. Mit Mäusen oder Eintagsküken möchte Hertel aber doch nicht füttern, zumal die klugen Krähen auch gerne Vorräte überall verstecken. Und so muss sich eben die ganze Familie rasierend oder schnippelnd „opfern“, damit in den Nahrungsbrei des gefiederten Zöglings neben Quark, Eierschalen und geraspelten Äpfeln oder Karotten auch noch eine Portion Haare hineinkommt. „Wir tragen derzeit alle Kurzhaarschnitt“, lacht Hertels Ehefrau Angela.
Die Familie hat schon öfter Krähen, Elstern oder auch Gartenschläfer großgezogen, selbst gefundene ebenso wie junge Vögel, die Bosenheimer in die „private Auffangstation des Biologen“ brachten. Da ist es gut, dass der Ortsvorsteher schon immer eine Leidenschaft für diese faszinierenden Rabenvögel hatte und während seines Studiums auch direkt an der Quelle für Informationen saß. Den aktuellen Zögling hatte seine Tochter Marie-Theres Flietel in Mainz am Kaiser-Wilhelm-Ring noch unbeholfen hopsend auf dem Boden entdeckt, ihn mit ihrem Ehemann Bastian eingefangen und in einer Kiste ins Elternhaus gebracht. „Normalerweise sollte man aus dem Nest gefallene Vögel nicht mitnehmen, weil sie auch am Boden von den Eltern versorgt werden“, erläutert Hertel. An der stark befahrenen Straße mit Autos und Straßenbahn wäre das Tier aber früher oder später überfahren worden. Für Malte wurde ein Platz in der „Abstellkammer“ frei geräumt, wo er jetzt – ohne Käfig – in einer eigens hergerichteten Metzgerkiste fast wie in einem Nest sitzen kann – mit reichlich Tüchern drumherum, weil das Tierchen überall ganz ungeniert etwas fallen lässt. Faszinierend sind für Hertel die Lernfähigkeit und Verhaltensanpassung des höchst cleveren Vogels. Anfangs hatte er noch völlig panisch reagiert, wenn man zum Füttern kam, nach einer Woche machte es Klick – und seitdem liebt er seine „neue Familie“, hüpft neugierig auf Schultern herum, knabbert an Ohren und fordert mit aufgesperrtem Schnabel und aufgeregt flatternden Flügeln auch sein Futter. Eigentlich kann er schon Körner picken, besteht aber immer noch darauf, mit dem Finger „gestopft“ zu werden. Offenbar dient dieser „Schnabelersatz“ nicht nur der Hilfe beim Fressen, sondern auch der „seelischen Nahrung“ – ähnlich wie der Schnuller beim Baby. Maltes absoluter Liebling ist seine Retterin: Kaum ist die junge Frau in Sicht, ist alles andere vergessen, und er bettelt auf ihrer Hand intensiv nach dem Finger mit dem Futterbrei.
Seit ein paar Tagen flattert die Saatkrähe ihrer Ziehfamilie ins Grüne hinterher, hilft eifrig mit dem Schnabel bei der Gartenarbeit, pickt neugierig in Spalten und Ritzen, zupft ein bisschen in den Blumenkästen, futtert bereitstehende Maiskörnchen, untersucht neugierig alles, was herumsteht und blättert sogar im Journalistenblock: Nicht, dass da etwas Falsches drin steht. „Das ist schon ein Fulltime-Job“, lächelt Hertel über den anstrengenden Zögling. Da muss nicht nur ständig hinterhergewischt und gefüttert werden. Der clevere Kerl will auch beschäftigt werden. Besonders interessant ist für ihn der Mauszeiger am Computer-Monitor, den er am liebsten „aufpicken“ würde. Und wenn Hertel etwa bei der Arbeit zwei Karten aneinanderfügen will, wird es schon ein bisschen schwierig, mit einer Hand den Vogel wegzuhalten und mit der anderen die Maus exakt zu positionieren – besonders, wenn Malte zuvor auch noch einen der aufgeklebten Markierungspfeile stibitzt hat. „Es macht aber Riesenspaß“, sagt der Ziehvater und nimmt auch gerne das Gekrächze in Kauf. Laut Hertels Messung bringt es der Vogel auf 100 Dezibel: So laut wie eine Kreissäge – oder die „Bosenfinken“, wie Hertel liebevoll-frotzelnd die ein bisschen schrägen Vögel des Dörfchens nennt.
Auch wenn der Kleine ein echter Familienliebling ist: Irgendwann kommt der Abschied. Ausgewildert werden muss er nicht. Er wird wie die anderen zuvor einfach davon fliegen und sich Artgenossen anschließen. „Das ist dann natürlich traurig“, sagt Marie-Theres Flietel und ergänzt: „Aber es fühlt sich richtig an“. Als kleines Trostpflaster bleiben ja noch Katze, Mohrenkopfpapagei – und in den Bäumen des naturbelassenen Gartens auch noch ein paar Eichhörnchen und wilde Raben.