Hobbyforscher Kay Maleton stöbert in Quellen des Bad Kreuznacher Stadtarchivs und lässt alte Häuser in Bosenheim ihre Geschichte erzählen
Von Hansjörg Rehbein*
Kay Maleton vor dem Geburtshaus seines Vaters, das um 1754 erbaut wurde. Foto: Hansjörg Rehbein
( Foto: Hansjörg Rehbein)
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BOSENHEIM - Wenn Häuser erzählen könnten… dann gäbe es in Bosenheim über deren Bewohner eine Menge zu erzählen. Historische Bausubstanz ist im Bad Kreuznacher Stadtteil reichlich vorhanden und geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Der Hobbyhistoriker Kay Maleton will über Bosenheim ein „Häuserbuch“ schreiben und hat dabei in den vergangenen zwei Jahren im Stadtarchiv, aber auch in den Archiven Darmstadt, Speyer und Koblenz reichlich Stoff gefunden. Das Geburtshaus seines Vaters, ein Fachwerkhaus um 1754 erbaut, steht noch und hat aus einem „Hang zur Nostalgie meine Neugier geweckt.“ Doch bei den eigenen Wurzeln ist es nicht geblieben.
Flurpläne reichen bis in die napoleonische Zeit zurück
Im Stadtarchiv gibt es von Hand gezeichnete Flurpläne, die bis in die Zeit napoleonischer Herrschaft (1796-1815) zurückgehen. „Leider liegt für das bebaute Dorfgebiet nur noch die Erweiterungskarte vor, die zum Einsatz kam, wenn die Vorgängerkarte keinen Platz mehr für die Veränderungen bot“, erläutert Maleton. Das Bosenheimer Archiv wurde nach der Eingemeindung 1969 an die Stadt abgegeben und 2004 ins Stadtarchiv übernommen, danach gesichtet und über ein Findbuch als Kulturgut für Forschungszwecke zugänglich gemacht. Einige Akten wurden bereits restauriert, weitere werden folgen.
Bosenheim gehörte vor über 200 Jahren zum Großherzogtum Hessen (1816-1918) und bildete dessen Außengrenze zum Königreich Preußen. Regierungssitz war Darmstadt, im dortigen Archiv fand Maleton das letzte Brandkataster (1930- 1974) von Bosenheim. Durch die im Kreuznacher Stadtarchiv befindlichen Brandkataster von 1817, 1850 und 1890 sowie das Grundsteuerregister von 1804 war es ihm möglich, die Gebäude, deren Erbauung und Veränderungen nachzuverfolgen. Darüber hinaus fand er in den Archiven von Darmstadt, Speyer und Koblenz weitere Unterlagen über Bosenheimer Häuser.
SUCHE GEHT WEITER
Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann würde sich freuen, wenn aus Bosenheim weitere historische Unterlagen wie Fotos, Plakat oder Materialien zu aufgelösten Vereinen an das Stadtarchiv übergeben werden (Kontakt Telefon 0671-9201162 oder E-Mail stadtarchiv@bad-kreuznach.de)
Der Finanzbeamte übersetzte die Texte aus der alten Kanzleischrift „Kurrent“ ins Neudeutsche. Unterschiedliche Schreibweisen warfen noch Deutungsfragen auf. In diesen Fällen war er froh über die Hilfe von so fachkundigen Stammbesuchern des Stadtarchivs wie Dr. Martin Senner und Udo Ebbinghaus. Im Rahmen der Übersetzung fand er dabei auch in Gerichtsakten und Dokumenten Tragödien und Anekdoten.
Fasziniert stellte er fest, dass viele Häuser mit Geschichte noch an ihrem alten Platz stehen. So haben sie als stille Zeitzeugen auch die Übernahme Bosenheims durch das Großherzogtum Hessen erlebt. Kreuznach gehörte als Bestandteil des Königreichs Preußen nun zum Ausland mit allen Konsequenzen. So ist aus den Einwohnerlisten zu entnehmen, dass Ausländer sich in Bosenheim nur niederlassen konnten, wenn die Zustimmung der Regierung in Darmstadt und des Bosenheimer Gemeinderates vorlag und ein Feuereimer gekauft oder „Eimergeld“ beim Gemeindeeinnehmer gezahlt wurde. Erst dann konnte man sich als Neubürger fühlen.
Ohne diese Formalitäten kam ein Kreuznacher Wagnermeister aus, der 1816 in Bosenheim einheiratete. Aus Kreuznacher Ratsprotokollen ist zu entnehmen, dass dieser Geld für russische Übersetzungen erhalten hatte. Doch woher kamen diese Kenntnisse? Nun, er war einer der wenigen Heimkehrer vom napoleonischen Feldzug gegen Russland.
Ein schief stehender Hoheitsstein der Staatsgrenze bei Bosenheim stellte 1872 ein schwerwiegendes Problem von übernationaler Bedeutung da. Ein Geraderücken hätte zwar genügt, dies wäre aber als Eingriff in die Staatsgrenze undenkbar gewesen. Nur eine beiderseitig eingesetzte Kommission durfte am 25. März 1872 hier Hand anlegen.
Ein Prozess 1854 in Mainz sorgte über das kleine Dorf hinaus für großes Aufsehen und für eine „Sensation in Rheinhessen“. Wegen der Misshandlung ihrer Tochter wurden der Gemeindeeinnehmer und dessen Ehefrau zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. „Der Prozessbericht wurde damals für 4 Kreuzer verkauft“.
Im Jahre 1878 wurde die politische Karriere eines Bosenheimer Juristen mit der Wahl in den „Deutschen Reichstag“ gekrönt. Auch bei der Vermählung seiner beiden Töchter hatte er ein gutes Händchen. Die eine heiratet den Gründungsdirektor der „Deutschen Bank“, die andere den Eigentümer des Julius Springer Verlages. Auch seine vier Söhne waren erfolgreich als Elektroingenieur, Minenbesitzer in Südafrika, Jurist und Generaldirektor großer Erdölunternehmen im Ausland.
Ein Witz auf der Straße, erzählt zu Zeiten des Nationalsozialismus, wurde einem Bosenheimer fast zum Verhängnis. Auf die Frage, wer ist der größte Erbhofbauer in Deutschland?, gab er die Antwort: Adolf Hitler, der hat 60 Millionen Rindviecher. Nachdem er denunziert wurde, kam er in Haft und dann mit einer scharfen Ermahnung aus Berlin davon.
Die Aussage „Der Ortsgruppenführer und der Ortsbauernführer sind Spitzbuben“ und „Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“ führten dazu, dass der Direktor der Winzergenossenschaft Bosenheim 1935 seines Amtes enthoben und wegen Beleidigung verurteilt wurde. Darüber hinaus wurde er noch von Nazischergen überfallen.
Der 1900 gegründete Verein der „Kleinkinderschule Bosenheim“ musste unter Zwang der Nazis seine Auflösung vornehmen. Vorab wurde das Kuratorium der Kleinkinderschulde gezwungen, sämtliches Vermögen der Kleinkinderschule auf die Gemeinde zu übertragen. Die Diakonissin war den Nazis schon lange ein Dorn im Auge und wurde umgehend durch eine regimetreue Kindergärtnerin ersetzt.
Noch vor Kriegsende wurde auf heutigem Bosenheimer Wohngebiet die Errichtung der unterirdischen Verstärkeranlage West geplant. Zum damaligen Zeitpunkt befand sich hier bereits eine Schaltanlage, die im Zweiten Weltkrieg auch als Funkstation für die Luftwaffe gedient haben soll. Das Vorhaben wurde abgesegnet und die Bauteile angeliefert. Nach dem Einmarsch der Amerikaner waren diese verschwunden, konnten aber durch die Gendarmerie wieder aufgefunden werden.
Die Unterlagen fand Maleton in den Archiven. Diese Unterlagen sind aber noch urheberrechtlich geschützt und dürfen erst nach Genehmigung veröffentlicht werden. Eine ausgezeichnete Grundlage war auch die von Marga Sitzius verfasste Chronik „Bosenheim, aus der älteren Geschichte eines Weindorfes“. Als Nächstes will Kay Maleton im Stadtarchiv die Einwohnerlisten Bosenheims aus den Jahren 1807 und 1839 und das Schatzungsregister von 1750 abschreiben und übersetzen. Die ermittelten Namen mit ihren Geburts- und Sterbedaten mit den Adressen soll dann den Mitbürgern weitere Einblicke in die Geschichte des Stadtteiles geben. Vielleicht lichtet sich dadurch auch das Geheimnis der „Schickengass“ wo sich das Hofhaus des Jakob Tillman von Halberg (kurpfälzischer Hofkanzler und Konferenzminister) befand.
*Der Text von Hansjörg Rehbein wurde von Kay Maleton um einige Passagen ergänzt.