Die Bad Kreuznacher Gruppe „Aktiv für Frieden“ erinnert an den 75. Jahrestag des Abwurfs der ersten Atombombe mit einem Theaterstück aus Japan.
Von Nathalie Doleschel
Produzentin Sachiko Hara (vorn, mit Mikro) und Akteure der Szenischen Lesung „Little Boy, Big Taifoon“ erinnerten auf Einladung der Gruppe „Aktiv für Frieden“ im Netzwerk am Turm und den „Mayors for Peace“ an den ersten Abwurf einer Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 – noch heute stehen die Trümmer einer Ruine. Das rechte Foto zeigt den Fliegerstützpunkt Büchel in der Nähe von Cochem-Zell, wo US-amerikanische Atomwaffen gelagert werden sollen.
(Foto: Nathalie Doleschel)
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BAD KREUZNACH - Es ist ein Montag, 6. August 1945. Ortszeit 8.15 Uhr. Ein B 29-Bomber erscheint über Hiroshima und wirft ein Päckchen ab. Langsam gleitet es an einem Fallschirm 45 Sekunden lang in Richtung Boden. In 580 Metern Lufthöhe explodiert das Päckchen, begleitet von einem grellen Blitz, gefolgt von einer gewaltigen, pilzartigen, ätzenden Wolke. „Der blaue Himmel über Hiroshima zerreißt, die Luft zerbricht“, so beschreibt es Autor Hisashi Inoue in seinem Theaterstück „Little Boy, Big Taifoon“.
Es ist die Geschichte von drei Jungen, die den ersten Abwurf einer Atombombe in einem Krieg erleben. Deren Familien mit einem Schlag ausgelöscht werden. Denn nur eine Sekunde nach der Explosion steigt die Temperatur des Feuerballs am Himmel auf 12 000 Grad, doppelt so heiß wie die Sonnenoberfläche. Die unfassbare Hitze steckt Häuser und Körper wie einen Teppich in Brand. Die Wucht der Detonation lässt alles Leben in der Luft, im Wasser und auf dem Boden förmlich schmelzen. Von 350 000 Einwohnern werden 70 000 Menschen sofort getötet. „Binnen Sekunden weggeweht“, so formuliert es Manfred Thesing vom „Netzwerk am Turm“, zu dem auch die Gruppe „Aktiv für Frieden“ zählt. Gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer erinnert das Netzwerk an den Abwurf der Atombombe vor 75 Jahren und die daraus entstandene Verantwortung.
„75 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki hat sich die Hoffnung der Überlebenden auf eine Welt ohne Atomwaffen immer noch nicht erfüllt“, richtet OB Kaster-Meurer ihre Worte an eine kleine Gruppe Zuschauer, die in der „Loge“ Platz genommen hat und das Theaterstück des japanischen Autors in Form einer Szenischen Lesung auf sich wirken lässt. Sachiko Hara, Jahrgang 1964, geboren in Tokio und anerkannte Bühnenschauspielerin in Deutschland, hat das Stück ihres Landsmannes ins Deutsche übersetzt. Seit 2010 erinnert die Schauspielerin und Aktivistin in ihren „Hiroshima-Salons“ an das Geschehen und seine Nachwirkungen. Der Wucht der Katastrophe setzt die Produzentin die Ruhe des gesprochenen Wortes gegenüber. Ihr ist es wichtig, dass „Bürger beteiligt sind, und keine professionellen Schauspieler, sondern Laien.“ Neun Personen haben sich eine Stunde vor der Lesung spontan zusammengefunden und miteinander geprobt. Die meisten kennen sich nicht. Nun sitzen sie in einem Halbkreis auf Stühlen und geben die Ereignisse aus der Sicht der Kinder Masao, Katsutoshi und Hidehiko wieder. Der Sog der Sätze, die manchem Sprecher und mancher Sprecherin nur sehr schwer über die Lippen kommen, weil sie drastisch und detailreich das Faktische beschreiben, entfaltet sich.
NETZWERKE FÜR DEN FRIEDEN
Die Gruppe „Aktiv für Frieden“ engagiert sich im bundesweiten Netzwerk „Friedenskooperative“ und informiert jeden ersten Freitag im Monat mit einem Infostand in der Fußgängerzone über ihre Arbeit. Anschließend treffen sich Interessierte von 17.30 bis 19.30 Uhr im Netzwerk am Turm am Wassersümpfchen.
„Mayors for Peace“ – Bürgermeister für den Frieden – wurde 1982 durch den Bürgermeister von Hiroshima gegründet. Das weltweite Netzwerk setzt sich für den Abbau von Atomwaffen ein und zählt mehr als 7900 Städte weltweit zu seinem Netzwerk. Bad Kreuznach hisst am 8. Juli um 11 Uhr die „Mayors for Peace“-Flagge am Stadthaus.
Die Fotos der heute bedeutenden Industriestadt Hiroshima trösten, aber sie verschweigen nichts. Eine Stunde Erzählzeit „dauert“ das Martyrium der drei Jungen, das authentisch eine Zeitspanne von etwa einem Monat und bis zu mehreren Jahren umfasst. Die Kinder treffen auf der Suche nach einem Ausweg auf einen Philosophieprofessor, der ihnen die Hoffnung befiehlt, ohne Rettung in Aussicht zu stellen. Nach der Bombe kommt ein Taifun, Katsutoshi ertrinkt. Masao stirbt an der Strahlenkrankheit. Zurück bleibt Hidehiko, der nun für alle toten Kinder überleben muss, wie ihm der Professor aufträgt. Hidehiko stirbt 1960 an den Spätfolgen der Strahlenkrankheit. Der Professor setzt den Kindern auf ihren Grabsteinen ein Denkmal. Was hat das alles mit heute zu tun? Die Gruppe „Aktiv für Frieden“ demonstriert für den weltweiten Atomwaffenabbau. Am Luftwaffenstützpunkt Büchel, nur eine Autostunde und zwanzig Minuten von Bad Kreuznach entfernt, sollen nach unbestätigten Quellen die letzten 20 verbliebenen US-Atomwaffen in Deutschland gelagert sein. Ihre Sprengkraft soll in etwa das 18-fache der Hiroshima-Bombe betragen, sagt Aktivistin Hara.
Sachiko Hara und „Aktiv für Frieden“-Sprecherin Anneliese Wolf haben sich letztes Jahr bei einer Demonstration in Büchel kennengelernt. „So etwas wie Hiroshima und Nagasaki darf nie wieder passieren“, mahnen die beiden Frauen und fordern die Bundesregierung zur Unterzeichnung des Atomwaffenabkommens der Vereinten Nationen auf.