Dienstag,
03.12.2019 - 18:51
4 min
Gericht: 33-Jähriger soll im Wahn zwei Menschen getötet haben

Von Robert Neuber
Lokalredakteur Bad Kreuznach

Symbolfoto: dpa
BAD KREUZNACH - Er hat laut Anklage seine Mutter mit dem Messer erstochen, und dann noch einen Nachbarn, der ihr helfen wollte – der offenbar schizophrene 33-Jährige aus dem Idar-Obersteiner Vorort Göttschied hatte in der Nacht des 7. Juni Feindvisionen, die sich tödlich auswirkten. Doch wer vor dem Bad Kreuznacher Landgericht nun eine Art Charles Manson erwartet hatte, der liegt äußerlich falsch.
Ein unauffälliger Mensch sitzt hier auf der Anklagebank. Eine Gestalt, die man beim Vorbeigehen in der Stadt wohl leicht übersehen würde: Dutzend-Gesicht, keine Körperspannung. Im Schwurgerichtssaal sitzt er ohne Regung auf seinem Stuhl, blickt die meiste Zeit ausdruckslos vor sich hin. Er ist derzeit in einer geschlossenen psychichatrischen Klinik untergebracht.
Was im Juni in der Göttschieder Wohnung geschehen ist, kann der Betrachter sowieso nicht nachvollziehen – aber es drängen sich wie so oft bei solchen Fällen auch Fragen nach dem familiären Umfeld auf. Der mutmaßliche Täter kommt aus gutbürgerlicher Herkunft, der Vater ist Kriminalbeamter, die Mutter Verwaltungsangestellte. Der 1987 geborene Sohn besuchte das Gymnasium bis zur elften Klasse, aber dann kam der erste Knacks. Die Schule bereitete ihm „Stress“, von Mobbing durch Mitschüler, aber auch durch Lehrer ist vor Gericht kurz die Rede. Der 17-Jährige schmiss die Schule. Es folgte eine absolut merkwürdige Phase: Ganze zehn Jahre scheinen in der Vita des jungen Mannes schlicht zu fehlen.
Mit Erspartem in die USA gereist
Der Schulabbrecher zog sich immer mehr in sein Zimmer in der elterlichen Wohnung zurück, spielte dort Videospiele, tags wie nachts. Seine Umwelt bekam ihn kaum mehr zu Gesicht. Mehrere Mitbewohner des Mehrparteienhauses erklärten als Zeugen, sie hätten den jungen Mann nie gesehen. Manchen Nachbarn war gar nicht bewusst, dass der junge Mann dort noch wohnte. Die Mutter erzählte einer Nachbarin einmal, ihr Junge habe „psychische Probleme“. Man habe ihr angemerkt, dass sie nicht darüber sprechen wollte, also habe man als Nachbar auch nicht insistiert, so die Zeugin. Der Täter sprach vor Gericht von depressiven Episoden, aber eine richtige psychiatrische Behandlung gab es nicht.
Als er 26 Jahre alt wurde, kam ein Ruck: Da habe er es doch nochmal mit Schule versuchen wollen, erklärte der heute 33-Jährige vor Gericht. Aber nach einem halben Jahr warf er die Fachoberschule wieder hin – obwohl die Noten stimmten. Es sei einfach Stress gewesen. Dann habe er beschlossen, „sich die Welt anzuschauen und sich danach umzubringen“. Er hatte über die Jahre einige tausend Euro aus Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken gespart. Damit ging es alleine nach New York, wo er sich mehrere Wochen treiben ließ, von dort nach Las Vegas und dann ins kalifornische San Diego. Hier ereignete sich etwas, was klarmacht, dass der spätere Täter durchaus zielgerichtet handeln kann: Weil er eine bakterielle Lungenentzündung bekam, brauchte er medizinische Behandlung – diese war ihm in den USA aber zu teuer, also überschritt der Idar-Obersteiner die Grenze nach Mexiko und besorgte sich dort auf eigene Faust ärztlichen Beistand.
Zurück Zuhause, landete er in den österreichischen Alpen und versuchte dort tatsächlich, sich selbst zu töten. Der Suizid-Versuch misslang und nach dem Aufenthalt in einem Innsbrucker Krankenhaus kehrte er nach Göttschied zurück in sein altes Leben: Er versackte wieder in seinem Zimmer und beschäftigte sich nur noch mit dem Computer – jahrelang. Das Abtauchen in virtuelle Welten könnte zu den Wahnvorstellungen geführt haben, die schließlich in der Bluttat enden. Eine umstrittene Videoserie über den Untergang der Zivilisation, angereichert mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und neonazistischem Gedankengut, beeindruckte den Mann. Er versuchte, seine Mutter damit zu konfrontieren, sie davon zu überzeugen, dass man „in einer falschen Welt“ lebe.
Nachbar wollte einschreiten
Die Tat soll sich folgendermaßen abgespielt haben: An jenem Abend im Juni will er seiner Mutter die Videoserie zeigen. Sie bekommt Angst vor ihm, flüchtet aus der Wohnung. Er folgt ihr, versucht sie wieder in die Wohnung zu zerren. Er schafft es nicht. Daraufhin holt er ein 17,5 Zentimeter langes Küchenmesser, kehrt zu seiner Mutter zurück, in der er nur noch eine „Feindin“ sieht und lässt das Messer mehrfach auf sie niederfahren, in den Hals, in den Nacken. Ein Nachbar versucht ihn abzuhalten, flüchtet dann selbst in seine Wohnung – dessen Tür tritt der Angeklagte ein und tötet auch den Nachbarn.
„Ich verstehe nicht, wie ich das tun konnte“, sagt er heute vor Gericht. Er habe, als seine Mutter nach Hilfe gerufen habe, eine seltsame Todesangst empfunden. Am Mittwoch wird der Prozess mit Zeugen und dem psychiatrischen Gutachter fortgesetzt.