Samstag,
09.11.2019 - 03:00
3 min
Gemeinschaft auf Zeit: Flüchtlingscamp im Süd-Libanon
Von Nathalie Doleschel

Oben: Bildung für den Frieden – das Schulprojekt „Alphabet“ einer NGO in einer Zeltstadt für geflüchtete Syrer im Libanon, nahe der syrischen Grenze. Links: eine Schulklasse in der Zeltstadt im Süd-Libanon. Rechts: Susanne Syren und Siegfried Pick haben den Alltag im Dorf Wardanyiéh erlebt. (Fotos: Pfarramt für Ausländerarbeit im ev. Kirchenkreis an Nahe und Glan, Kreuznacher Arbeitskreis Asyl, Nathalie Doleschel)
BAD KREUZNACH - Auf den ersten Blick wirkt das „Haus des Friedens“ am Rande des Shouf-Gebirges im Süd-Libanon fast wie ein Urlaubsresort. Weiße Plastikstühle und Tische vor einem sandfarbenen Gebäude, eine grünberankte Pergola und ein kleiner Garten mit weißen Steinen und einer Bank zum Niederlassen – hier ist „Shalom“, der hebräische Gruß für Frieden, nicht nur ein Wort. Seit 1997 führt die Begegnungsstätte Dar Assalam für Interkulturelle Reisen am Rande des Dorfs Wardaniyéh im Haus des Friedens Fortbildungen für Erzieher und Sozialarbeiter durch. Diese Frauen und Männer helfen traumatisierten Kindern und Erwachsenen in den palästinensischen Flüchtlingslagern. Und jetzt auch in den Camps, die eine große Zahl syrischer Flüchtlinge aufgenommen haben. 1,5 Millionen Menschen aus dem zerstörten und bitterarmen Nachbarland sind in den ebenfalls instabilen Libanon geflüchtet, der vier Millionen Einwohner zählt. Also etwa so viele wie Rheinland-Pfalz.
„Mich hat vor allem interessiert: Wie geht ein Land, das selbst so ungleich und bettelarm ist, mit dieser Vielzahl von geflüchteten Menschen um?“ Susanne Syren vom Bad Kreuznacher Arbeitskreis Asyl hat sich Anfang Oktober gemeinsam mit Pfarrer Siegfried Pick auf den Weg gemacht und die Begegnungsstätte im Süd-Libanon besucht. Das Pfarramt für Ausländerarbeit mit Sitz in Bad Kreuznach unterstützt Dar Assalam seit 1998 und organisiert Studien- und Begegnungsreisen mit der Partnerorganisation. Siegfried Pick reiste bereits zum achten Mal in den Libanon, für Susanne Syren war es die erste „Bildungsreise“, gemeinsam mit 17 weiteren Personen aus dem Landkreis. Rund 100 in der Flüchtlingsarbeit ehrenamtlich Tätige aus der Region sind auf diese Art und Weise bereits mit der Realität von geflüchteten Menschen außerhalb der Bundesrepublik konfrontiert worden. Und auch dieses Mal ist die Reisegruppe Zeuge des Alltags im Dorf Wardanyiéh. 5000 Menschen leben hier mit weiteren 1500 Syrern, die als „Gäste auf Zeit“ von der libanesischen Gesellschaft geduldet, aber kaum integriert werden. Der Staat hält sich zurück, es gibt wenig Hilfe. „Trotzdem funktioniert die Gemeinschaft irgendwie.“ Einige Flüchtlinge arbeiten als Tagelöhner, die meisten jedoch leben in Verhältnissen, die euphemistisch als „prekär“ beschrieben werden könnten. In windschiefen, zusammengewürfelten Behausungen aus Lumpen, die sich Zeltstädte nennen.
In einer dieser Zeltstädte, acht Kilometer vor der syrischen Grenze, besuchen Pick und Syren eine Schule, die eine NGO aufgebaut hat, unterstützt von Spendengeldern, auch aus der Bundesrepublik. „Alphabet“ nennt sich das Projekt, ehemalige Lehrkräfte aus Syrien, die ebenfalls geflüchtet sind, unterrichten hier und verdienen etwa 500 Euro pro Monat. Viel zu wenig, um aus Nahost den Sprung nach Europa zu schaffen. „Die Leute im Lager und im Dorf hoffen eher darauf, zurückkehren zu können“, so die Erfahrung der Bad Kreuznacher.
Die Reisegruppe trifft auch den deutschen Botschafter im Libanon, er ist ranghöchster Gesprächspartner in diesen 14 Tagen. Es geht darum, konkrete Hilfen zu organisieren, und darum, die Situation geflüchteter Menschen in Deutschland besser zu verstehen. Und – wenn möglich – Familienangehörige aus den Lagern mit Familien, die bereits in Bad Kreuznach leben, zusammenzuführen. „Der Libanon ist ein Land extremer Ungleichheit“, sagt Siegfried Pick. „In Beirut Glanz und Glitzer, auf dem Land bettelnde Leute im Autoverkehr.“ Jeder sorge zuerst für die Seinen: „Du bist loyal zu deiner Familie und dann zum System“, erläutert Pick das Prinzip des konfessionell besetzten Parlaments. Halb christlich, halb muslimisch, gefangen in Abhängigkeiten von langer Tradition – „eine Gesellschaft, die zum Stillstand gekommen ist, deren Infrastruktur marode ist und deren junge Generation jetzt aufbegehrt“, blickt Pick zurück.
PROJEKTPARTNERSCHAFT
Pfarrer Siegfried Pick will seinen Kontakt in den Libanon nutzen, um die Stadt Bad Kreuznach als erste Kommune in Rheinland-Pfalz in eine Projektpartnerschaft mit der Initiative Kommunales Know-how für Nahost zu führen (www.initiative-nahost.de). Es geht um den Austausch von Information und Hilfsmöglichkeiten.
In Rheinland-Pfalz leben rund 50 000 Menschen, die zwischen 2014 und 2019 in Deutschland Asyl beantragten. Im Landkreis Bad Kreuznach in diesem Zeitraum rund 1500 Menschen. Derzeit hat das Pfarramt für Ausländerarbeit Kontakt zu rund 500 Geflüchteten, etwa 200 Ehrenamtliche kümmern sich um sie.
In Rheinland-Pfalz leben rund 50 000 Menschen, die zwischen 2014 und 2019 in Deutschland Asyl beantragten. Im Landkreis Bad Kreuznach in diesem Zeitraum rund 1500 Menschen. Derzeit hat das Pfarramt für Ausländerarbeit Kontakt zu rund 500 Geflüchteten, etwa 200 Ehrenamtliche kümmern sich um sie.
Nur Stunden nach dem Gespräch mit dem deutschen Botschafter eskaliert die Lage wegen der von der Regierung geplanten WhatsApp-Steuer, der Gruppe gelingt noch rechtzeitig der Abflug nach Hause. „Trotzdem“, sagt Syren, „so eindeutig ist es nicht.“ Die konfessionelle Prägung verleiht dem Alltag von Wardanyiéh Menschlichkeit. „Obwohl die Bevölkerung, Einheimische wie Geflüchtete, untereinander in Konkurrenz steht, ist die Atmosphäre nicht feindselig“, berichtet Syren. In der Dorfschule werden vormittags die libanesischen und nachmittags die syrischen Kinder unterrichtet – wegen der Sprache, denn der Unterricht im Libanon wird ab der vierten Klasse auf Französisch gehalten. „Muslimische und christliche Gemeinschaften präsentieren Lösungen und sorgen fürs Gemeinwohl. Davon können wir hier in Deutschland nur profitieren.“