Früh- oder Fehlgeburt: In Krise soll niemand allein bleiben
Diakonin Heike May steht in Krisenzeiten bei Bedarf allen Krankenhauspatienten bei. Im Krankenhaus der Stiftung „Kreuznacher Diakonie“ nimmt sie sich Zeit fürs Gespräch.
Von Isabel Mittler
Lokalredakteurin Bad Kreuznach
Diakonin Heike May kennt viele der Ängste, die Patienten oder Eltern kranker Kinder belasten. Sie begleitet die Menschen im Krankenhaus der Kreuznacher Diakonie. Dort soll die Begleitung Betroffener ausgebaut werden.
(Foto: Isabel Mittler)
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BAD KREUZNACH - Trauer, Abschiednehmen, Verlust und tiefe Leere. Diakonin Heike May bekommt bei ihren Rundgängen im Diakonie-Krankenhaus viel von der Gefühlswelt werdender Mütter und Familien mit, für die der Traum einer ganz normalen Geburt und einer Entlassung nach drei Tagen mit einem putzmunteren Säugling auf dem Arm platzt. Ihre Aufgabe besteht darin, das Gespräch anzubieten.
„Es geht in diesen Fällen nicht primär darum, wie geht es gerade medizinisch dem Kind – noch im Mutterleib oder auf der Station, sondern hauptsächlich darum, wie es Mutter, Vater und dem gesamten Familiengefüge drumherum geht.“ Wenn ein Kind unterwegs ist, dann sei ohnehin alles ganz anders, ganz aufregend, weiß May. Wenn dann aber nicht alles nach Plan läuft, stellen sich für die werdenden oder jungen Eltern viele Fragen, viele Zweifel bestehen, und das Gedankenkarussell hört nicht auf, sich zu drehen.
Heike May kennt die Frühchenstation und die Abteilung 7b, in der die Risikoschwangerschaften betreut werden, so gut wie kaum ein anderer. Seit 1997 ist sie im Haus, war zunächst in der Kinderkrankenpflege tätig und hat 2003 das damalige Pilotprojekt Begleitung von Frauen, die eine Risikoschwangerschaft durchleben, gestartet. Schon damals pendelte sie zwischen siebter und vierter Etage hin und her, bildlich betrachtet zwischen Wochenbett und Inkubator, zwischen Mamas, die sich vom Kaiserschnitt erholten, und Säuglingen, die an winzige Schläuche und Überwachungsgeräte angeschlossen sind. Heike May begegnet im Alltag, den sie seit fast genau zehn Jahren der Seelsorge auf der Kinder- und der Entbindungsstation widmet, vielen Menschen, die sich selbst die Schuld an den Ereignissen geben, die viele Fragen stellen, auf die es einfach keine Antworten gibt. „Wichtig ist, dass man diese aber mal aussprechen darf, dass Vater und Mutter wissen, wo sie stehen.“ Viele haderten: „Warum gerade ich, warum mein Kind, warum lässt Gott das zu?“
Bei Heike May spielt es keine Frage, oder jemand Christ oder Muslim ist, jedem, dem sie am Krankenbett oder auf der Kinderstation begegnet, bietet sie Unterstützung an. „Es gibt viele Leute, die sich an mich wenden, die nicht in der christlichen Kirche verankert sind.“ Besonders schwer trifft es Frauen, die ein Kind tot gebären mussten, Familien, deren Kinder es nach ein, zwei Tagen doch nicht geschafft haben und sterben. Dann ist Heike May gefragt, Nottaufen und Aussegnungen vorzunehmen, einen gemeinsamen Weg mit den Eltern zu finden, sich vom Kind würdevoll zu verabschieden, Erinnerungsstücke auszuwählen und es bewusst in die Hände Gottes zurückzugeben. Dies ist nur ein kleiner Schritt, um mit solch einer einschneidenden Erfahrung überhaupt fertig zu werden.
Solche Krisen im Leben gehen mit psychischen Belastungen einher, mit denen jeder unterschiedlich umgeht. Wenn jemand nicht über eigene Ressourcen verfügt, um mit der Situation und der Trauer umzugehen, spürt Heike May, dass hier das Gespräch nicht reicht, dass noch jemand wertvoll sein könnte, um aus einer weiteren Perspektive mit den Betroffenen Dinge zu erarbeiten, die unabhängig von der Seelsorge helfen, mit einem Verlust oder Zukunftsängsten klar zu kommen und auch, um Frauen und Paare zu ermutigen. Alle Professionen verfolgten ein Ziel: dass es Familie und Kind gut geht.
Auf der Kinderstation im Diakonie-Krankenhaus soll mithilfe der AZ-Spenden-Aktion „Leser helfen“ das Angebot der Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenslagen ausgeweitet werden. Auch für Diakonin May wäre es eine Bereicherung im Haus, wenn jemand aus einem anderen Blickwinkel die Schicksale betrachtet. Da viele der Risikoschwangeren über Wochen oder Monate im Diakonie-Krankenhaus liegen, reißt der Kontakt auch nach der Entlassung in manchen Fällen nicht sofort ab. Auch am Telefon spricht sich die ein oder andere Familie ihre Sorgen und Nöte von der Seele. „Dann höre ich heraus, dass mancher noch von den Ereignissen runtergerissen wird, sich in einem Loch befindet.“ Manche Frau erfahre nach einer Früh- oder Fehlgeburt im persönlichen Umfeld, dass manche Menschen die Krise nicht mit ihnen mitgehen können. Und der Druck von außen nimmt zu, das Umfeld könne Trauer über einen längeren Zeitraum schwer nachvollziehen. „Wenige haben im Ort von der Schwangerschaft vielleicht etwas mitbekommen“, berichtet May. Und mancher gehe sogar so weit zu sagen, wenn das Kind noch gar nicht lange gelebt hätte, dann könne das doch gar nicht so schlimm sein.
Heike May weiß, dass es für Eltern nichts Schlimmeres geben kann, als das eigene Kind zu Grabe tragen zu müssen. Und da mache es keinen Unterschied, ob das Kind erst an der Grenze zum Leben war oder einige Zeit auf Erden weilen durfte. Auf der Wegstrecke, die von der Diakonin mit den Eltern im Diakonie-Krankenhaus gegangen wird, kann sie eigene Erfahrungen einbringen. Sie selbst lag zehn Wochen auf Station 7. Ihre Tochter, heute 20 und seit Frühjahr mit dem Abitur in der Tasche, kam als Frühchen in der 31. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Sie weiß, was es bedeutet, jeden Tag mit der Ungewissheit zu leben: „Geht es meinem Kind im Bauch gut, lebt es noch?“ Das sind extreme Anspannungen über Wochen hinweg, die nicht einfach weggesteckt werden können. Denn man selbst sei ja nicht krank, aber lebe unter ständiger psychischer Belastung.
Heike May erinnert sich noch gut an einen Fall und die Aussage eines dankbaren Vaters während ihrer Anfangszeit als Diakonin, die sie sehr beeindruckt hat. „Jetzt weiß ich, dass mein Kind ein Geschenk Gottes ist“, hatte der Mann nach überstandener Krise festgestellt.