Der Aufstieg des Bosenheimers Karl Sack im Dritten Reich
Am 9. April 1945 wurde der aus Bosenheim stammende Karl Sack auf Befehl Hitlers hingerichtet – gemeinsam mit Pastor Bonhoeffer und Admiral Canaris.
Von Wolfgang Bartels
Im evangelischen Pfarrhaus in Bosenheim hat Karl Sack seine Kindheit verbracht und ging in Bosenheim zur Grundschule. Anschließend besuchte er das „Königlich-Preußische Gymnasium zu Kreuznach“, das heutige Gymnasium an der Stadtmauer.
(Foto: Wolfgang Bartels)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
BOSENHEIM - „Mitkommen!“ lautet der Befehl. Gegen 6 Uhr morgens werden am 9. April 1945, vor 75 Jahren, die Zellen aufgeschlossen. Dann das Kommando: „Ausziehen!“ Mithäftlinge erinnern sich später, der Hof des Zellenbaus sei die ganze Nacht in grelles Licht getaucht gewesen, die Hunde hätten gebellt. Die Gefangenen werden einzeln völlig nackt zur Richtstätte geführt. Das Todesurteil des SS-Standgerichts „wegen Hoch- und Kriegsverrats“, angeordnet von Adolf Hitler persönlich, wird verlesen, einen Verteidiger haben die Angeklagten nicht.
Dann müssen sie eine Stiege hinaufklettern. Der Henker legt ihnen einen Strick um den Hals, dann wird die Stiege weggezogen. Der Standortarzt im KZ Flossenbürg in der Oberpfalz, SS-Sturmbannführer Hermann Fischer, bemerkt „erschüttert“, dass der Theologe Dietrich Bonhoeffer, auf seine Hinrichtung wartend, nackt in einer Kammer neben dem Wachraum kniet und betet. Zusammen mit Bonhoeffer werden an diesem Morgen in Flossenbürg Admiral Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Hans Oster, Theodor Strünck und Karl Sack hingerichtet. Gleichzeitig wird im KZ Sachsenhausen-Oranienburg der schwer erkrankte Hans von Dohnany ermordet. Sie alle gehörten zum militärischen Widerstand gegen Hitler, der im Attentat vom 20. Juli 1944 kulminiert war. 1956 spricht der Bundesgerichtshof den Vorsitzenden des Standgerichts, Otto Thorbeck, vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei, weil er nach dem damals geltenden Recht geurteilt habe.
Einer der sechs Hingerichteten, Karl Sack, stammt aus Bosenheim. Im Evangelischen Pfarrhaus wurde er dort am 9. Juni 1896 als zweites Kind des Pfarrers Hermann Sack und seiner Ehefrau Anna geboren. Im Bosenheimer Pfarrhaus verlebte Sack seine Kindheit, drei Jahre lang besuchte er die Bosenheimer Grundschule und dann bis 1910 das „Königlich-Preußische Gymnasium zu Kreuznach“, das heutige Gymnasium an der Stadtmauer. Dann wurde der Vater nach Butzbach in Oberhessen versetzt, Karl Sack machte sein Abitur 1914 in Friedberg und schrieb sich als Student der Rechtswissenschaften in Heidelberg ein. Geprägt war er von der Welt des evangelischen Pfarrhauses, er galt als tief religiöser Mensch, bei dem das Christentum nicht nur äußere Lebensform blieb. Seine Herkunft aus einem „rheinhessischen Pfarrhaus“ habe er später gern betont, schreibt sein Biograf Hermann Bösch.
Im evangelischen Pfarrhaus in Bosenheim hat Karl Sack seine Kindheit verbracht und ging in Bosenheim zur Grundschule. Anschließend besuchte er das „Königlich-Preußische Gymnasium zu Kreuznach“, das heutige Gymnasium an der Stadtmauer. Foto: Wolfgang Bartels
Karl Sack, geboren am 9. Juni 1896 in Bosenheim, ermordet von den Nazis am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg. Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
2
Doch bald wurde das unbeschwert begonnene erste Semester überschattet vom heraufziehenden Ersten Weltkrieg. Sack meldete sich als Kriegsfreiwilliger zum Infanterieregiment 168. Von 1914 bis 1916 diente er an der Ostfront und von 1917 bis 1918 in Frankreich. Fünfmal wurde er schwer verwundet und wenige Wochen vor dem Waffenstillstand als Leutnant der Reserve mit hohen Auszeichnungen entlassen. Trotz der Verletzungen nahm er sofort sein Studium wieder auf, erst in Frankfurt, dann in Gießen. 1922 wurde er zum Gerichtsassessor ernannt. Von 1923 bis 1925 setzte ihn das hessische Justizministerium beim Amtsgericht Ober-Ingelheim ein. Dort herrschten kritische Zustände. Die dortigen Separatisten hatten in Bingen die „Rheinische Republik“ ausgerufen, strebten den Anschluss der linksrheinischen Gebiete an Frankreich an und wurden dabei von der französischen Besatzungsmacht unterstützt. Der bisherige Amtsgerichtsrat hatte schon kapituliert und sich krank gemeldet. Sack traf das Amtsgericht völlig verwaist und führungslos an. Überall hingen die grün-weiß-roten Fahnen der Separatisten, nur nicht am Amtsgericht, weil Sack sich diesem Ansinnen verweigerte, indem er auf seinen Diensteid hinwies. Ende Juli 1925 wurde er erst nach Alsfeld (Oberhessen), dann nach Schlitz versetzt. 1926 wurde er Mitglied der nationalliberalen Deutschen Volkspartei von Außenminister Gustav Stresemann, der für Verhandlung und Verständigung mit den ehemaligen Weltkriegsfeinden stand.
KARL SACK
Teil 1: Karriere im Dritten Reich. Der Aufstieg zum Reichskriegsgerichtsrat.
Teil 2 erscheint in der Donnerstag-Ausgabe: Wie Sack zum „Hitler-Hasser“ wurde. Die Fritsch-Affäre und der Widerstand.
Im Dezember 1930 wurde Sack zum Landgerichtsrat ernannt und an das Landgericht für die Provinz Rheinhessen nach Mainz versetzt. Die Ausbreitung des Nationalsozialismus und die Radikalisierung bereiteten ihm große Sorge. Den aufkommenden NS-Rechtsvorstellungen leistete er Widerstand. 1934 entschloss er sich, die zivile Justiz zu verlassen und in die Wehrmachtsjustiz zu gehen. Als während des so genannten Röhm-Putsches die beiden Generäle Ferdinand von Bredow und Kurt von Schleicher ermordet wurden, hielten die Spitzenmilitärs still. Nicht so Karl Sack. Er nannte die Nationalsozialisten eine „Verbrecherhorde“. Trotzdem machte Sack Karriere in der Wehrmachtsjustiz. Am 20. Januar 1938 wurde er zum Reichskriegsgerichtsrat in Berlin ernannt.