Im Mai 2004 hat der Stadtrat im Hinblick auf eine barrierefreie Stadt beschlossen, auf die Gleichstellung behinderter und älterer Menschen hinzuwirken und jährlich den...
BAD KREUZNACH. Im Mai 2004 hat der Stadtrat im Hinblick auf eine barrierefreie Stadt beschlossen, auf die Gleichstellung behinderter und älterer Menschen hinzuwirken und jährlich den Sachstand mit dem Behindertenbeirat zu erörtern. Unter anderem will man Einfluss nehmen auf die Unternehmen und Träger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), damit behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht wird. So sollten die Betreiber nur noch Fahrzeuge anschaffen, die unter anderem durch stufenlosen Einstieg für Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen gleichberechtigt nutzbar sind.
Weiterhin wollte die Stadt darauf hinwirken, dass im Fahrplan Abfahrtzeiten barrierefreier Busse gekennzeichnet sind, und dass die Schulung der Fahrer im Umgang mit behinderten Menschen in Kooperation mit dem Behindertenbeirat verbessert wird. Bei der Stadtbus Gesellschaft ist dies weitgehend umgesetzt, die ORN hinkt allerdings 13 Jahre nach der städtischen Verpflichtung hinterher.
Niederflurbusse im Fahrplan nicht gekennzeichnet
„Es genügt nicht, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und Barrierefreiheit formal auf dem Blatt zu legitimieren. Vielmehr messen sich die Wirksamkeit der Gesetze erst an und durch die praktische Umsetzung im Alltag der Betroffenen“, sagt Akina K. aus eigener Erfahrung. Die 26-jährige Aktivrollstuhlfahrerin ist auf die örtliche Bus- und Bahnverbindung angewiesen. Dabei ist es ein Glücksspiel, wann auf ihrer fast täglich genutzten Route zwischen Völkerring und Bahnhof ein Niederflurbus mit absenkbarer Rampe kommt.
Und selbst wenn einer dieser barrierefreien Busse anfährt, ist immer noch nicht sichergestellt, dass die Studentin der Sozialen Arbeit auch tatsächlich mitfahren kann. Es gibt immer wieder Probleme mit dem Ausklappen der Rampe, die bei manchen Bussen nur mit einem speziellen, meist in der Nähe des Fahrersitzes deponierten Schlüssel aus der Verankerung gelöst werden kann. „Viele Busfahrer der ORN-Gruppe scheinen diese Benutzung nicht für nötig zu halten oder aber wissen es schlichtweg nicht“, hat sie häufig am eigenen Leib erfahren. Wiederholt hatte sie ablehnende Fahrer auf diesen Mechanismus hingewiesen, dann aber Ausreden gehört, dass die Rampe defekt sei oder dass das angeblich mühevolle Ausklappen wegen Verzögerungen und damit verbundenen Zusatzkosten nicht zu leisten sei.
„Dass ich ansonsten noch viel länger auf den nächsten Bus warten müsste, zählt dabei nicht“, ärgert sich die Kreuznacherin. Oft bleibt ihr aber tatsächlich nichts anderes übrig, als den nächsten Bus zu nehmen, was bei einem Takt von einer halben Stunde sehr zeitraubend ist – und auch nervenaufreibend. Denn letztlich muss sie hoffen, dass weder ein hoher Bus noch ein unfreundlicher Fahrer anfahren. Es ist ihr schon mehrfach passiert, dass sie zweimal hintereinander stehen blieb und eine Stunde warten musste. Auch wenn dies nicht die Regel ist: Durch die Ungewissheit kann sie nicht zielgerichtet planen, keinen Arzttermin, kein Treffen mit Freunden und auch keine Studientermine. Stets muss sie damit rechnen, zu spät zu kommen – oder von vorneherein zur Sicherheit einen „Bus früher“ an der Haltestelle sein.
Für die Situation macht sie organisatorische und strukturelle Probleme verantwortlich. Die Busfahrer seien gerade in ländlichen Regionen nicht ausreichend für die Mitnahme behinderter Personen geschult. In Mainz, wo sie derzeit noch studiert, gebe es nie derartige Probleme, da sei das Ausklappen der Rampe eine Selbstverständlichkeit. Mehrfach hat sie sich schon bei der Hotline der ORN gemeldet und um eine bessere Schulung gebeten – vergeblich. Der Aufwand sei nicht zu leisten. Auch der Vorschlag, die barrierefreien Busse zu festen Zeiten fahren zu lassen oder sie wie bei der Bahn-App zu kennzeichnen, brachte nichts ein.
„Wir als Menschen mit Behinderungen“, sagt Akina K., „müssen die breite Öffentlichkeit viel mehr über unsere Alltagsprobleme in Kenntnis setzen, um zum einen Gehör zu finden und um zum anderen Bewusstsein zu schaffen.“ Nur im gemeinsamen Austausch und im Gespräch miteinander könne eine wirkliche langfristige Inklusion gelingen. Ausdrücklich macht sie klar, dass sie sich nicht auf die Tränendrüse drücken möchte.
„Ich bin ein glücklicher Mensch und sehe mich auch nicht als behindert.“ Sie könne nur nicht laufen – und werde von der Gesellschaft behindert. Daher wolle sie den Finger in die Wunde legen, um auf die Bedürfnisse und die spezifischen Alltagsprobleme von Menschen aufmerksam zu machen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt seien. Dafür ist sie im Interesse anderer Betroffener auch gerne unbequem: „Manchmal muss man einfach öffentlich Druck machen, weil sich sonst gar nichts ändert.“