Marita Spang schreibt unter dem Pseudonym Marie Lacrosse historische Romane. Gerade bei Goldmann erschienen ist ihr neuestes Werk „Das Weingut. Aufbruch in ein neues Leben“.
BAD KREUZNACH. „Das Weingut. Aufbruch in ein neues Leben“. Dieser zweite Teil der Weingut-Saga aus dem Elsass, gerade druckfrisch im Goldmann-Verlag erschienen, lacht dem geneigten Leser auf der Verkaufsauslage in der Buchhandlung Rottmann entgegen. Ebenso strahlend beobachtet die Autorin Marita Spang alias Marie Lacrosse das Geschehen und begrüßt jeden Interessierten freundlich und zugewandt. Informativ, abwechslungsreich, sehr authentisch soll dieser Abend werden, in dessen Mittelpunkt Marie Lacrosses Protagonistin Irene steht. Sie, 1851 in einer Gebäranstalt geboren, anonym, armen Frauen vorbehalten in einer bigotten Welt, kommt als Dienstmädchen in das Weingut Wilhelm Gerbans, dessen Sohn Franz, der „reiche Erbe“, sich in Irene verliebt.
Angedacht ist eine wahre Liebesheirat der beiden jungen Menschen, deren Herkunft unterschiedlicher nicht sein könnte, doch nach der Enthüllung eines „furchtbaren Geheimnisses“ durch Wilhelm verlässt die schwangere Irene ihren Bräutigam wortlos. Einsam bringt sie ihren kleinen Fränzel zur Welt und tritt eine Stelle als Textilarbeiterin in einer Lambrechter Tuchfabrik an.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen dort sind unbeschreiblich, Irene muss sich 13 bis 15 Stunden täglich als Nopperin auf der Suche nach Web- und Färbfehlern verdingen, ihr Kind liegt derweil in der sogenannten „Stillstube“, die ihren Namen nicht verdient hat. Sie lernt Josef kennen, den Arbeiterführer mit Charisma, dessen Charme sie erliegt. Wird Irene Franz jemals wiedersehen? Werden sie ein gemeinsames Leben führen dürfen?
Marita Spangs Schreibstil ist lebendig und präzise, er nimmt den Zuhörer direkt hinein ins Geschehen, ihre Stärke liegt sicherlich in der sehr gründlichen Recherchearbeit, die nicht allein Reisen an historische Schauplätze wie etwa das Museum Euskirchen oder die New Lanark Mill in Schottland, seit 2001 von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannt, vorsieht. Unzählige Quellen liegen ihren Büchern zugrunde, Bildmaterial, eigene Fotografien, Zitate, die, so sagt sie selbst, direkt „Szenen in ihr entstehen lassen“. Einzelne Textpassagen aus ihrem jüngsten Werk liest sie mit klarer Stimme vor, immer wieder nimmt sie Bezug auf das gerade Gesagte, sie klärt auf und bereichert. Der deutsch-französische Krieg 1870, die Fabrikarbeit im 19. Jahrhundert und das schwere Schicksal der Arbeiterfrauen, deren Männer nur allzu oft ihr Elend in den Kneipen „ertränken“ und zuhause eine große Gewaltbereitschaft aufzeigen, sind nur einige ihrer Themen.
Marita Spang nimmt Bezug auf das „Phänomen des Pauperismus“, der Lohn einer gesamten Familie reicht nicht aus, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Kinder müssen schon in ganz jungen Jahren zu arbeiten beginnen, Ammoniak, Ameisen- und Essigsäure stehen für jeden zugänglich herum, Hautkrankheiten und Tuberkulose sind weit verbreitet, von Transmissionsriemen und heißen Rohren geht große Gefahr aus, die Fabrikherren sind wahre „Leuteschinder“.
All diese Themen beleuchtet die Autorin in ihrem Roman und entwirft ein klares Bild einer Zeit, die heute unvorstellbar erscheint – und doch gar nicht ist. Ihre eigene Betroffenheit münzt sie um in einen souveränen Umgang mit den vorgefundenen Bedingungen, die auch die Psychiatrie dieser Zeit und die Situation im annektierten Elsass in den Blick nimmt. Ein großartig geschriebenes Buch, das Spannung erzeugt und Fiktion und Wahrheit gekonnt verknüpft.