„Wir vergessen nicht“: Theater-AG des Aufbaugymnasiums...

Rudolf Blahnik kommt kurz ins Stocken, bevor er das Wort ergreift. „Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, nach so einem Stück“, sagt der Leiter der Theater-AG des...

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ALZEY. Rudolf Blahnik kommt kurz ins Stocken, bevor er das Wort ergreift. „Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, nach so einem Stück“, sagt der Leiter der Theater-AG des Aufbaugymnasiums schließlich. Gemeint ist das Theaterstück seiner AG, das gerade zum Ende gekommen ist. „Gnadenlos“ erzählt von den Schicksalen einzelner Opfer und Täter der Zwangssterilisationen und Krankenmorde aus dem Alzeyer Land in der Zeit des Nationalsozialismus.

Zusammen mit Renate Rosenau von der Arbeitsgruppe Psychiatrie im Nationalsozialismus, Irene Müller und Blahnik vom Aufbaugymnasium, haben die Schüler das Theaterstück selbst erarbeitet. Vier Opfer der damaligen Landes- Heil- und Pflegeanstalt Alzey und drei Ärzte, die entscheidende Rollen bei den Zwangssterilisationen und der „Euthanasie“-Aktion besetzten, werden in dem Stück vorgestellt. Die Schüler geben denen eine Stimme, die nicht gehört werden konnten.

Es sind wahre Ereignisse der Jahre 1933 bis 1945, die auf der Bühne erzählt werden, recherchiert und zusammengestellt von der Arbeitsgruppe „NS-Psychiatrie in Alzey/Rheinhessen“. 216 000 Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen wurden in Deutschland zwischen 1933 und 1945 ermordet. Nachdem 1934 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft trat, wurden etwa 400 000 Menschen bis 1945 auf Anordnung der dafür errichteten Erbgesundheitsgerichte auch ohne ihre Einwilligung unfruchtbar gemacht.

Am Ende des Stückes spielen die Schüler einen Gerichtsprozess. Angeklagt sind zwei der drei Ärzte. Es ist der einzige Teil, der frei erfunden wurde. Denn ein Urteil, geschweige denn einen Prozess gab es nie. „Aber wir vergessen nicht“, liest eine Schülerin schließlich vor. In Zeiten, in denen die AfD im Bundestag kritisiert, die deutsche Erinnerungskultur sei zu einseitig auf die Zeit des Nationalsozialismus ausgerichtet, stellen die Schüler klar, wie wichtig es ist zu „trauern, gedenken und erinnern“.

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Mit 19 Jahren in einer Tötungsanstalt ermordet

Sie erinnern an Ludwig Klingenschmitt, der einzige Name, der in dem Stück nicht geändert wurde, gespielt von Tamara Oelmann. 1933 kam der geistig beeinträchtigte Junge in ein Heim. Nach verschiedenen Klinikaufenthalten wurde er 1941 mit nur 19 Jahren in einer Tötungsanstalt ermordet. Seine Familie bekam einen Brief. In ihm stand, er sei plötzlich an einer Hirnhautentzündung gestorben. Sie erinnern an „Frau Rauschkolb“, gespielt von Malin Märtens. Eine Frau, die von ihrem Ehemann der „Hysterie“ beschuldigt wurde und daraufhin in eine Heilanstalt kam. Auch sie wurde in einer Tötungsanstalt ermordet. Sie erinnern an „Hanna“, gespielt von Cosima Deibert, ein junges Mädchen, das keine Selbstbestimmung über seinen eigenen Körper gewährt wurde und das gegen seinen Willen unfruchtbar gemacht wurde.

Es sei ein schwieriges Projekt gewesen, sagt Blahnik. „Es kam sehr schnell sehr nah“, so der Leiter der Theater AG. Doch die Schüler wollten es auf die Bühne bringen. Auch, weil das Thema fast ein Tabu unter Alzeyern sei, so Blahnik, was einer der Gründe war, die Namen im Stück fast alle zu ändern. „Es ist immer aktuell“, findet er.

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bestand in Teilen der Bundesrepublik formal bis 1974 fort. Das Bundesentschädigungsgesetz erkannte weder die Angehörigen der „Euthanasie“-Morde, noch die Opfer der Zwangssterilisationen lange Zeit als Opfer des „NS-Unrechts“ an. Entschädigungen haben sie bis heute keine erhalten.