Unberechenbar: Dintesheims besondere Kommunalwahlgeschichte

Arnd Stegemann ist seit 2014 Ortsbürgermeister in Dintesheim. Ob er noch einmal kandidiert, ist noch unklar. Foto: BilderKartell/Schmitz
DINTESHEIM - Deutschland scheidet sang- und klanglos bei der Fußball-EM in der Vorrunde gegen Tschechien aus, Michael Schumacher beherrscht die Formel-1. Gerhard Schröder ist Bundeskanzler. „Humankapital“ wird zum Unwort des Jahres gewählt, Horst Köhler zum Bundespräsidenten. Wir schreiben das Jahr 2004. Jenes Jahr, als im kleinen Dintesheim zum bis dato letzten Mal ein amtierender Ortsbürgermeister wiedergewählt wird. Und damit eine Ära beginnt, die dem 160-Einwohner-Dorf ein Stück weit den Ruf der Unregierbarkeit eingebracht hat. Wenn im Mai im Alzeyer Land die Bürger zur Wahlurne schreiten, steht der kleine Ort wieder einmal im Fokus. Das ist wenig verwunderlich in Anbetracht seiner außergewöhnlichen Geschichte.
2009 erhält Amtsinhaber nur 37,9 Prozent Ja-Stimmen
Rückblick: 2009 tritt Amtsinhaber Norbert Birk ohne Gegenkandidat zur Kommunalwahl an. Und wird abgewählt. Nur 37,9 Prozent der Wähler sagen „Ja“ zu ihrem Ortschef. Ein Paukenschlag. Drei Monate später gibt es doch noch einen Nachfolger. Der 30 Jahre alte Matthias Brechtel wird vom sechsköpfigen Gemeinderat ins Amt gewählt. Er ist der einzige Bewerber. Zu diesem Zeitpunkt kann er noch nicht ahnen, dass ihn fünf Jahre später das gleiche Schicksal treffen wird wie seinen Vorgänger.
2014 stellt sich Brechtel zur Wiederwahl, einen Konkurrenten hat auch er nicht. Doch schon wieder verfehlt der Amtsinhaber die 50-Prozent-Hürde. Die Wahl muss wiederholt werden. Plötzlich stehen gleich drei Bewerber zur Verfügung, einer davon ist Brechtel selbst, der es trotz der Niederlage noch mal wissen will. Am Ende gewinnt Arnd Stegemann, der seitdem die Geschicke der Gemeinde leitet.
Und nun? Dem Gesetz der Serie folgend scheint der Wahlausgang in diesem Jahr klar zu sein. Sofern der amtierende Ortsbürgermeister noch einmal antritt. Endgültig habe er das aber noch nicht entschieden, sagt Stegemann. Dabei blickt der 53-Jährige durchaus selbstbewusst auf seine Amtszeit: „Ich bin angetreten, um für ein gutes Miteinander im Ort zu werben, was in der Vergangenheit nicht so glücklich gehändelt wurde – ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen.“ Im Falle einer erneuten Kandidatur habe er daher auch kein ungutes Gefühl, er vertraue der Bevölkerung voll und ganz.
Für das besondere Wahlverhalten der Dintesheimer hat Arnd Stegemann, der 1997 in den Ort gezogen ist, eine ganz persönliche Theorie entwickelt. Die hat vor allem mit der Größe des Dorfes zu tun. „Hier haben Sie als Bürgermeister in einer Legislaturperiode mit jedem einzelnen Einwohner in irgendeiner Form direkten Kontakt.“ Soll heißen: Wer in Dintesheim den Hut auf hat, kann beim Bürger viele Bonuspunkte sammeln. Oder es sich mit ihm so richtig verscherzen. Im Vergleich zu großen Gemeinden fehlt hier der neutrale Teil unter den Menschen nahezu völlig. Potenzial zur Polarisierung.
Keine Gräben oder Clan-Strukturen
Von Gräben oder gar Clan-Strukturen, wie es manchmal von außerhalb vermutet wird, will Stegemann hingegen nichts wissen. „So etwas gibt es hier eigentlich nicht, der Zusammenhalt im Dorf ist sehr gut.“ Gerne verweist er dabei auf die Aktivitäten zum 200-jährigen Rheinhessen-Jubiläum – seinen persönlichen Höhepunkt als Ortsbürgermeister. „Megastolz“ sei er damals auf seine Bürger gewesen. Ohnehin, ohne die Menschen im Ort gehe es in seiner Gemeinde einfach nicht. „Wenn hier keiner mehr mithilft, haben wir ein Problem.“
Arnd Stegemann hofft daher darauf, dass sich die Menschen im Dorf auch weiter so engagieren wie bisher. Ob unter seiner Führung oder der eines anderen wird sich zeigen. Am 26. Mai an der Wahlurne. Dem Tag, an dem die Dintesheimer ihre ganz eigene kuriose Geschichte weiterschreiben können. Oder ihr eine neue Wendung geben.