Urteil zum tödlichen Autounfall bei Kirchheimbolanden gefallen
Im Januar 2018 raste ein 18-Jähriger bei einem Überholmanöver frontal in ein Auto. Dabei kam ein Ärztepaar aus Bornheim ums Leben. Am Landgericht Kaiserslautern fällt nun das Urteil.
Von Denise Kopyciok
Neun Monate nach dem Urteil vor dem Amtsgericht Rockenhausen, muss sich der Unfallverursacher aus Alzey nun vor dem Landgericht Kaiserslautern verantworten.
(Foto: Denise Kopyciok)
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Rheinhessen/Alzey - Angespannt sitzt er zwischen seinem Verteidiger und der Jugendgerichtshilfe. Den Kopf stützt der Angeklagte auf seine gefalteten Hände. Die Augen starr zu Boden. Ab und zu hebt er den Kopf, blickt zur anderen Seite des Saales 1 im Landesgericht Kaiserslautern. Dort sitzt die Tochter des Arztehepaares, das wegen ihm gestorben ist.
Die Tat steht bei dem Berufungsprozess nicht infrage. Das riskante Überholmanöver des damals 18-Jährigen auf der L 401 zwischen Morschheim und Kirchheimbolanden hat zwei Menschen das Leben gekostet und weitere verletzt. Durch das Urteil am Landgericht Kaiserslautern entgeht der Alzeyer einer Haftstrafe. Der Richter urteilt im Sinne des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft: ein Jahr und elf Monate Jugendstrafe werden zu drei Jahren Bewährung ausgesetzt. 100 Stunden gemeinnützige Arbeit sollen bei „Die Brücke“ in Kirchheimbolanden absolviert werden. Die Sperrfrist zur Beantragung eines neuen Führerscheins beträgt zwei Jahre. Zudem muss sich der Angeklagte in Psychotherapie begeben.
Der Erziehungsgedanke stehe bei diesem Urteil im Vordergrund, betont der Richter. Zwei Menschen sind bei dem Zusammenstoß gestorben, den der junge Mann zu verantworten hat. „Das ist eine Bürde, damit muss der Angeklagte für den Rest seines Lebens leben.“
Rückblick: Es ist kurz vor 16 Uhr am Dienstag, 16. Januar 2018. Der Angeklagte ist auf dem Weg Richtung Kirchheimbolanden. Die Landstraße formt sich zu einer lang gezogenen Kurve. Es gilt absolutes Überholverbot auf der einspurigen Strecke. Der Angeklagte fährt trotzdem über die durchgezogene Linie – mit einem geliehenen Porsche Cayenne: Drei Autos will er wohl überholen, dafür fährt er auf die Gegenfahrbahn. Diese ist Richtung Alzey zweispurig. Dort fährt auf der rechten Spur ein weißer Transporter, den wollte das Ärztepaar aus Bornheim gerade überholen. Frontal knallt der Porsche mit dem BMW des Ärztepaares zusammen. Die einen Zeugen berichten, der Porschefahrer habe noch versucht einzuscheren, auszuweichen. Andere berichten, er habe beschleunigt. Vielleicht in der Hoffnung, die Fahrzeugkolonne noch überholen zu können? So genau kann das keiner sagen. Der junge Fahrer erinnere sich an nichts mehr.
Im vergangenen September fällt das Urteil in erster Instanz am Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Rockenhausen: Wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung sowie vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung wird der Angeklagte zu zwei Jahren und sechs Monaten Jugendgefängnis und einem zeitgleichen_Fahrverbot verurteilt. Weder die Staatsanwaltschaft, noch die Verteidigung und die Nebenklägerin – die Tochter des verstorbenen Ehepaares – wollen dieses Urteil hinnehmen.
Gut neun Monate später nun also das Urteil im Berufungsprozess in Kaiserslautern. Nicht der „Raser-Paragraf“ steht dabei im Mittelpunkt, sondern die Suche nach einer erzieherischen Strafe: Die Staatsanwaltschaft rudert mit dem Plädoyer zurück, fordert ein Urteil nach dem Jugendstrafrecht. Zwei Jahre Jugendstrafe, ausgesetzt als Bewährung, gemeinnützige Arbeit, Führerscheinsperre. Dem schließt sich der Verteidiger an.
Jugend- oder Erwachsenenstrafmaß?
„Grundsätzlich halte auch ich zwei Jahre für angemessen.“ Aber: Der Angeklagte floh als Kind mit seiner Familie aus Afghanistan nach Deutschland. Mit einer zweijährigen Strafe wäre eine Ausweisung des Alzeyers möglich. Das wolle er vermeiden, indem das Urteil „knapp darunter fällt“. Die Nebenklägerin bleibt bei der Forderung nach einer dreijährigen Freiheitsstrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht. Deren Anwalt erklärt: „Wir haben hier einen erwachsenen, jungen Mann vor uns. Aus der Tat selbst folgt keine besondere Jugendtypologie.“
Das sieht der Richter anders und bezieht die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe mit ein: Der Angeklagte lebt zuhause, teilt sich ein Zimmer mit seinem zehnjährigen Bruder, sei immer fleißig gewesen, viermal die Woche beim Sporttraining und an den Wochenenden auf dem Fußballplatz. Seit dem Unfall sei er nur noch Zuhause. Er ist ein „gebrochener Mensch“, erklärt die Jugendgerichtshilfe. Der Angeklagte leide wohl unter einer post-traumatischen Belastungsstörung. Das zu erfahren, war der Nebenklägerin sehr wichtig. Auch sie wünscht sich eine Therapie für den Angeklagten: Er solle sich wieder „als Teil der Gesellschaft gut ins Leben stellen“ können, sagt die Tochter des verstorbenen Ehepaars.
„Eine ernsthafte Therapie geht nur im Rahmen einer Bewährungsstrafe“, begründet der Richter sein Urteil. „Jugendstrafgefängnis halten wir für nicht zielführend.“ Abschließend macht er klar: „Im Jugendstrafrecht ist die Bewährung das Mittel der Wahl“. Die Eltern, die keinen Prozesstag verpasst haben, beginnen zu weinen. Die Nebenklägerin gibt ihnen die Hand, hält auch beim Angeklagten, sie unterhalten sich kurz. Er kann ihr nicht in die Augen blicken.