Reizthema „Autofahren im Alter“ bei Alzeyer Nachtvorlesung

Autofahren macht auch im Alter Spaß, doch lassen Reaktionsschnelligkeit und oft auch Sehvermögen nach. Fahrschulen bieten Tests an, bei denen die Fahrtüchtigkeit überprüft wird. Archivfoto: dpa
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Ab welchem Alter sollte man die Finger besser vom Steuer lassen? Eine schwierige Frage. Antworten gibt die Dortmunder Wissenschaftlerin Dr. Melanie Karthaus.

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ALZEY. „Für den wär’s auch besser, wenn er seinen Führerschein freiwillig abgeben würde.“ Sätze wie diesen hört man oft, wenn es um ältere Autofahrer geht. Hat der Betreffende dann noch einen Hut auf und tuckert gemächlich mit Tempo 30 durch den Ort, ist das Klischee erfüllt. Doch wie so häufig, gibt auch dieses Klischee die Realität nur verzerrt wieder. Wie es tatsächlich um das Autofahren im Alter steht, weiß Dr. Melanie Karthaus. Die Diplom-Psychologin widmet sich am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der TU Dortmund diesem Thema. Bei der nächsten Nachtvorlesung von Gesundheitsnetz Region Alzey und AZ gibt sie am Mittwoch interessante Einblicke in ihre Forschungsarbeit.

Die wichtigste Erkenntnis: Man muss immer den individuellen Fall betrachten, will man sich dem Thema fundiert nähern. Pauschale Urteile und Allgemeinplätze helfen auch hier nicht weiter. „Da wird viel und hochemotional diskutiert, leider aber nicht immer sachlich“, weiß Melanie Karthaus nur zu gut. Deshalb lohnt es sich, auf die Fakten zu gucken.

Dazu zählt, dass sich mit zunehmendem Alter körperliche Einschränkungen einstellen können. Beispiele sind der Blick über die Schulter beim Anfahren, der ebenso Probleme bereiten kann, wie die möglicherweise sinkende Sehkraft. Im Alter lässt die Reaktionsfähigkeit nach, dafür steigt die Gefahr, schneller abgelenkt zu werden. „Doch das ist nicht bei allen älteren Menschen im gleichen Maße der Fall“, verdeutlicht die Wissenschaftlerin.

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In der Politik und an den Stammtischen der Republik wird häufig der Ruf nach regelmäßigen Überprüfungen der Fahrtüchtigkeit bei der Altersklasse Ü 65 laut. „In anderen Ländern gibt es solche Tests in unterschiedlichen Formen. Aber: Die Zahl der Unfälle, an denen ältere Menschen beteiligt sind, geht in diesen Ländern dennoch nicht zurück“, stellt Melanie Karthaus fest.

Grundsätzlich gilt die überwiegende Zahl von Männern und Frauen im fortgeschrittenen Alter aufgrund ihrer Erfahrung als sichere Autofahrer. „Auch hier gibt es natürlich individuell große Unterschiede“, merkt die Forscherin an. Doch belegt die polizeiliche Statistik, dass Senioren bezogen auf ihren Anteil an der Gesamtzahl der motorisierten Verkehrsteilnehmer in Deutschland eher weniger an Unfällen beteiligt ist. „Aber wenn, sind sie häufig die Verursacher“, sagt Melanie Karthaus. Das treffe vor allem auf Menschen über 75 Jahre zu, die nur wenige Kilometer im Jahr fahren. „Die offizielle Unfallstatistik beschreibt auch nur die Spitze des Eisbergs, denn darin sind die ungezählten Beinahe-Unfälle natürlich ebenso wenig enthalten wie die vielen Bagatellunfälle, die nicht zur Anzeige kommen“, erläutert die Dortmunderin.

Doch wann sollte ein Mensch aufgrund seines Alters nicht mehr Auto fahren? Das ist einerseits eine Frage der realistischen Selbsteinschätzung, andererseits können auch Angehörige und Bekannte hier als Regulativ wirken. Doch gerade diese Selbsteinschätzung ist mit Tücken behaftet. „Jeder denkt doch von sich selbst, der beste Autofahrer zu sein“, nennt sie eine wesentliche Hürde.

Nehme man jedoch Veränderungen an sich in Bezug auf das Autofahren wahr, könne man den Hausarzt ansprechen. Viele Fahrschulen böten auch besondere Fahrstunden für ältere Menschen an, in denen der Fahrlehrer dann aus professioneller Sicht feststellen kann, ob es Auffälligkeiten im Fahrverhalten gibt. Defizite könnten mit speziellen Übungen aufgearbeitet werden. Auch diese Tipps kämen vom Fahrlehrer. „Doch gibt es hier Grenzen, die der Gesundheitszustand setzt“, sagt Melanie Karthaus.

Nehmen Angehörige wahr, dass ein älteres Familienmitglied besser kein Auto mehr fahren sollte, sei es sinnvoll, ihm das auch zu sagen. Natürlich macht auch hier der Ton die Musik. „Ein Gradmesser ist, ob man sein Kind noch mit dem oder Betreffenden mitfahren lassen möchte oder das für zu gefährlich hält“, nennt die Expertin ein Beispiel.

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Von Thomas Ehlke