Professor Axt-Gadermann sieht die Darmflora als zentral für das Wohlbefinden des ganzen Körpers an / Buchautorin ist zu Gast bei Alzeyer Nachtvorlesung
ALZEY. Die Gesundheit des Darms ist ein weiteres Mal Thema einer Nachtvorlesung. Zu Gast ist diesmal Professorin Dr. med. Michaela Axt-Gadermann, Professorin für integrative Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg, anerkannte Expertin auf diesem Gebiet und Autorin vieler Bücher – derzeit wurde gerade ein neues zum Thema Darmflora veröffentlicht. Wir interviewten die Expertin im Vorfeld.
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Professor Axt-Gadermann, Sie sehen die 100 Billionen Bakterien im Darm als entscheidend für Gesundheit, Figur und Psyche. Warum?
Noch vor wenigen Jahren waren unser Darm und die darin lebenden Bakterien ein Tabuthema. Doch inzwischen ist der Darm in den Mittelpunkt des Interesses von Laien und Experten gerückt. Vor allem die im Verdauungstrakt lebenden Keime sind zu neuen Superstars avanciert. Neue Analysemethoden ermöglichen heute ungeahnte Einblicke in das Leben in unserem Verdauungstrakt. Dort leben sage und schreibe 100 Billionen Bakterien. Ihr Einfluss auf unseren Körper ist immens: Sie steuern nicht nur unsere Verdauung und trainieren das Immunsystem, auch bei Übergewicht reden sie ein Wörtchen mit. Inzwischen bringt man eine veränderte Darmflora mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung. Bei Gewichtsproblemen, Depressionen, Zuckerkrankheit, Allergien, ADHS und Akne scheint eine Besiedelung des Darms mit den „falschen“ Keimen eine wichtige Rolle zu spielen.
Warum ist die Darmflora so wichtig für das Gewicht?
Menschen, die vergebens gegen überflüssige Kilos kämpfen und sich selbst als „gute Futterverwerter“ bezeichnen, bekommen Rückendeckung aus der Mikrobiomforschung. Denn offensichtlich gibt es deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmflora zwischen guten und schlechten „Futterverwertern“. Dazu gibt es neue Studien. Der Mikrobenmix scheint dafür verantwortlich zu sein, wie gut oder schlecht wir unser Essen ausnutzen und wie viele Kalorien aus der Nahrung gezogen werden.
Wirkt sich die Darmflora auf die Psyche aus?
Darmbakterien sind in der Lage, mithilfe von Nervenbotenstoffen, Immunmolekülen und Metaboliten ihres eigenen Stoffwechsels unser Gehirn und damit auch unsere Emotionen zu beeinflussen. Um das Potenzial der Darmkeime in der Kommunikation zwischen Bauch und Hirn zu verstehen, haben Experten sich einiges einfallen lassen. Sie haben mit Antibiotika die gesunde Darmflora durcheinandergebracht und festgestellt, dass durch solche Störungen auch unsere Gefühlswelt ins Chaos gestürzt werden kann. Sie haben „gute Darmkeime“ verabreicht und gesehen, dass diese nicht nur den Darm heilen, sondern auch der Psyche guttun. Auch der Stresshormonspiegel wird beeinflusst. All das zeigt, wie die Darmflora die Chemie des Gehirns und damit auch unser Verhalten beeinflusst.
Hat die Darmflora dann auch Einfluss auf unsere Attraktivität?
Unsere Darmflora kann uns durchaus attraktiver machen und sich günstig auf den Hautzustand auswirken. Denn der lange Arm der Darmflora reicht weit über die Körpermitte hinaus und beeinflusst mit zahlreichen Hormonen, Botenstoffen und Vitaminen auch den Zustand von Haut und Haaren. Das Mikrobiom ist nämlich in der Lage, Substanzen zu produzieren, die wir eher in der Gesichtspflege oder in Lifestyleprodukten vermuten würden. Hyaluronsäure, Ceramide, Milchsäure, Antioxidantien und UV-Schutz-Faktoren werden von der Kosmetikindustrie eingesetzt, um die Hautalterung zu verzögern, Falten aufzupolstern und den Teint zum Strahlen zu bringen. Diese Beauty-Elixiere kann aber auch die gesunde Darmflora herstellen und uns damit ganz nebenbei hübscher und optisch jünger machen.
Was für Konsequenzen sollten die Menschen aus all diesen Erkenntnissen ziehen?
Eine gesunde Darmflora entsteht nicht von selbst. Wer etwas für seine körperliche und psychische Gesundheit tun möchte, sollte sich deshalb um seine Darmkeime kümmern. Das geht am besten mit Messer und Gabel, denn von unserem Essen hängt es ab, welche Mikroorganismen in unserem Gedärm heimisch werden. Die Grundvoraussetzung für unsere Gesundheit scheint zunächst eine vielfältige Darmflora mit vielen unterschiedlichen Keimarten zu sein. Die erste Empfehlung: „Essen Sie so vielseitig wie möglich.“ Versuchen Sie, Fast-Food und Fertiggerichte nur gelegentlich auf den Tisch zu bringen. Wichtig ist, dass wir die Darmflora regelmäßig mit präbiotischen Ballaststoffen füttern. Etwas weniger Hygiene, etwas mehr Schmutz, etwas weniger Stress, etwas mehr Bewegung und auch ab und zu mal ein Gläschen Rotwein, dunkle Schokolade oder Kaffee – das alles kann dazu beitragen, aus einer öden Darmflora wieder blühenden Bakterien-Landschaften zu machen. Nähere Informationen finden sich auch auf meiner Internetseite www.gesund-mit-darm.de.
Das Interview führte Stefanie Widmann.