Ernährungsmediziner Biesalski spricht bei Alzeyer Nachtvorlesung zum Thema Nahrungsmittel-Allergien Klartext
Von Thomas Ehlke
Laut Ernährungsmediziner Biesalski kaufen viel mehr Menschen gluten- oder lactosefreie Produkte als tatsächlich an einer Allergie oder Intoleranz leiden. Fotos: Nathalie Landot, B. Wylezich, photocrew, ovydyborets, dispicture, Diana Taliun – Fotolia, Malyshchyts Viktar – stock.adobe
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ALZEY - Hans Konrad Biesalski ist ein Freund klarer Worte. Und so hat der in Albig lebende Ernährungsmediziner bei der jüngsten Nachtvorlesung von Gesundheitsnetz Region Alzey und AZ zum Thema „Nahrungsmittel-Allergien“ auch unmissverständliche Botschaften im Gepäck, räumt mit so manchem, vom Marketing der Lebensmittelindustrie befeuerten Irrglauben auf.
„Jeder, der kauen kann, fühlt sich als Wissenschaftler“
Grundsätzlich, so lässt er die 70 Zuhörer im Konferenzraum des DRK Krankenhauses wissen, bestehe das Problem, dass die Ernährungswissenschaft eine Widerspruchswissenschaft sei. „Es gibt kaum ein Thema auf diesem Sektor, das nicht widersprüchlich diskutiert wird“, stellt der Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Uni Hohenheim fest, und schiebt direkt den Grund dafür nach: „Jeder, der kauen kann, fühlt sich als Ernährungswissenschaftler.“
Dass dies so ist, liege vor allem daran, dass die Nahrungsmittelkonzerne ein Geschäft mit tatsächlichen und vermeintlichen Unverträglichkeiten von bestimmten Stoffen machten. Mit dem Angebot von „Frei von“-Produkten werde eine Philosophie bedient, deren Tenor sei, dass alle irgendwelche Allergien hätten.
VORSCHAU
Die nächste Nachtvorlesung von Gesundheitsnetz und AZ findet am Mittwoch, 15. November, um 19 Uhr im Tagungszentrum der RFK statt.
Thema des Abends ist „Palliativmedizin/Hospiz“.
Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache. Ein Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an Gluten-Allergie (Zöliakie), aber zehn Prozent kaufen glutenfreie Produkte. Ein anderes Beispiel: Von Lactose-Intoleranz sind 15 bis 18 Prozent der Deutschen betroffen, aber 50 Prozent kaufen lactosefreie Lebensmittel.
Vor Griff ins Regal erst Rat des Arztes einholen
„Ehe Sie anfangen, sich gluten- oder lactosefrei zu ernähren und das Doppelte zu bezahlen, dafür weniger Nährwert und mitunter sogar toxische Substanzen zu sich nehmen, sollte Sie zu Ihrem Hausarzt gehen und seinen Rat einholen“, rät Biesalski den Zuhörern der Nachtvorlesung. Denn vor allem die Unverträglichkeit bestimmter Stoffe sei schwer zu bestimmen und brauche Zeit.
Es ist nicht ratsam, wenn Frauen sich während der Schwangerschaft glutenfrei ernähren. Gleiches gelte für vegane Ernährung in dieser Situation. Es fehlten zu viele wichtige Mineralien, Vitamine, Mikroorganismen und Nährstoffe. Das damit verbundene gesundheitliche Risiko für das Kind sei zu hoch. In diesem Zusammenhang hinterfragt Hans Konrad Biesalski auch eine Aktion des rheinland-pfälzischen Ernährungs- und Umweltministeriums. „Mit Kindern in Kitas vegetarisch zu kochen, geht an den Bedürfnissen vorbei“, unterstreicht der Ernährungsmediziner, dass zu einer ausgewogenen Ernährung von Kindern auch Fleisch gehöre, da dies wichtige Nährstoffe, wie etwa Eisen, enthalte, die für die körperliche Entwicklung unverzichtbar seien.
Biesalski stellt klar: „Es gibt keine ungesunden Lebensmittel. Es gibt nur einen ungesunden Umgang damit.“ Bei der Ernährung mache es der Mix, eben die Ausgewogenheit. Ein Rezept für gesunde Ernährung gebe es indes nicht. „Eine gesunde Ernährung ist die, die nicht krank macht“, sagt der Wissenschaftler. Er rät seinen Zuhörern, genau darauf zu achten, was hinter den Werbeslogans von Lebensmittelherstellern steht. „Wenn diese Werbung sagt, das Produkt sorge für Wohlbefinden, Schönheit und langes Leben, können Sie es schon vergessen“, winkt der Wissenschaftler ab.
Als eine Frau aus dem Publikum das Thema „Super Food“ anspricht, meint er, dass dies genau in den Trend passe. Biesalski: „Natürlich kann man das essen, aber wer glaubt, dass das besonders gesund ist, dem muss ich sagen: Das ist ein Irrglaube!“ So fänden sich auf den einschlägigen Plattformen im Internet hundert Argumente für die gesundheitsfördernde Wirkung von Chia-Samen. „Das ist ein Geschäftsmodell und bringt gar nichts – außer dem, der es verkauft“, merkt Hans Konrad Biesalski zu den in der Superfood-Szene gehypten Körnern aus Mittelamerika an.
Moderator Günter Gerhardt lenkt beim Thema Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten den Blick auf eine simple Erkenntnis. „Dahinter steckt oft, dass wir verlernt haben zu kauen. Viele schlingen ihr Essen nur noch herunter. Da darf man sich nicht wundern, wenn es dann zu Beschwerden kommt“, sagt der Wendelsheimer Mediziner.