Alzeyer Original Franz Wahner fährt mit seinem Wohnmobil „über 1000 Kurven in den Himmel“
Von Thomas Ehlke
Reporter Politikredaktion
Herzlicher Empfang bei Francesca und Luigu Da Deppo in Domegge di Cadore. Foto: Wahner
( Foto: Wahner)
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ALZEY - Ein Mann, sein Hund und die Berge. Stille, die ab und an vom Pfeifen der Murmeltiere unterbrochen wird. Der Blick des Mannes schweift über das grandiose Panorama der Dolomiten. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als die Sonne langsam hinter den Bergen versinkt. Kein Gedanke an seine Heimatstadt, wo der Mann mit dem Strohhut ein Original ist. Kein Gedanke an den Flammkuchenstand, mit dem der 68-Jährige beim Winzerfest und anderen städtischen Festivitäten präsent ist und quer durch die Republik reist. Franz Wahner hat sich auf den Weg gemacht. Ein Weg, der gleichzeitig das Ziel ist. Ein Weg in die eigene Vergangenheit.
Weihnachten 2016. Wahner blättert in einem Bildband. Motorradtouren über Alpenpässe. „Da waren so tolle Aufnahmen von den Dolomiten drin“, beschreibt Wahner die Initialzündung für seinen Entschluss: „Da muss ich hin.“ Doch er will nicht einfach nur über die Pässe fahren, sondern dort oben verweilen, die Nacht verbringen, erleben, wie die Sonne auf und wieder untergeht. Ein halbes Jahr später ist sein 25 Jahre altes Wohnmobil zur Abfahrt bereit.
Kurz bevor er startet, sortiert er alte Familienbilder. Dabei fällt ihm auch ein Foto seines Vaters Wilhelm in die Hand, der im Busunternehmen von Adam Bayer angestellt war und die „Volker von Alzey“-Busse lenkte. Das Foto aus dem Jahr 1954 zeigt seinen Vater, den Busfahrer, als er auf einer Tour in exakt jenes Gebiet gereist ist, das er nun ansteuern will. „Das war damals die erste Busreise von Alzey nach Italien. Darüber gab es sogar einen Bericht in der AZ“, sagt Franz Wahner. Cortina d‘Ampezzo – damals wie heute das Ziel.
Herzlicher Empfang bei Francesca und Luigu Da Deppo in Domegge di Cadore. Foto: Wahner Foto: Wahner
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Doch im Gegensatz zum Vater reist er alleine. Das heißt nicht ganz. Mit an Bord ist seine sieben Jahre alte Irish Terrier-Hündin Lilly, den Alzeyern ebenfalls bestens bekannt. Am Ende sind es 22 Pässe, die der Alzeyer im Wohnmobil überquert, bevor er nach exakt 2009 Kilometern wieder das Alzeyer Stadtschild passiert und sein Haus in der St. Georgenstraße 36 erreicht.
„Noch schöner als ich es mir vorgestellt habe“, fasst der „Flammkuchen-Franz“ seine Tour „Über 1000 Kurven in den Himmel“ zusammen. Ab sechs Uhr abends sind die Touristen verschwunden, dann legt sich Ruhe über vor wenigen Stunden noch herrschende hektische Betriebsamkeit auf der Passstraße. „Es ist so ruhig, dass du deinen eigenen Pulsschlag hörst“, sagt Wahner.
An einem jener Abende, als die Touristen längst weg sind, ist Wahner auf dem Falzarego-Pass in einem Souvenirladen. Es ist der magische Moment seiner Reise. Ein älterer Herr räumt Ware in die Vitrinen, eine junge Frau macht Kasse. Der Laden schließt gleich. Wahners Blick bleibt an einer aus Kirschholz geschnitzten Tabakspfeife hängen und sein Puls gerät in Wallung. „Genau die gleiche Pfeife stand bei uns seit meiner Kindheit im Bücherregal“, sagt der 68-Jährige.
Giovanni, der Ladeninhaber, wird auf den Deutschen aufmerksam, erklärt ihm, dass Bergbauern der Gegend diese Pfeifen im Winter schnitzten und sie im Sommer an die Händler verkauften. Doch das sei lange her. Heute seien es Ladenhüter, die niemand mehr wolle. „Doch ich“, entfährt es dem Kunden aus Rheinhessen. „Mein Papa hat solch eine Pfeife von seiner Fahrt 1954 aus den Dolomiten mitgebracht.“ Das gute Stück ist der von der Mutter in den Sechzigern durchgeführten „Modernisierung“ des Wohnzimmers zum Opfer gefallen. Giovanni horcht auf. „Dein Papa kann sie nur hier gekauft haben, denn es gab sie nur hier“, sagt der Südtiroler.
Franz fragt Giovanni, was die Pfeife kosten soll. Die Stimme zittert; im Hals ein Kloß, Tränen in den Augen. „Ich sie dir schenken“, antwortet Giovanni. „Dein Papa hat sie bestimmt bei meine Papa gekauft.“ Nun weinen beide Männer. Fremde, die ein Stück geschnitztes Holz zusammengeführt hat.
Franz Wahner fährt weiter, zwei Ziele auf einer an sich ziellosen Reise im Blick. In der Nähe von Cortina leben zwei Menschen, die vielen Alzeyern noch in wacher Erinnerung sind: Francesca und Luigi Da Deppo. Mit ihrem Eiscafé „Dolomiti“ haben sich beide am Roßmarkt ein Denkmal gesetzt. Als er die Da Deppos in Dommegge di Cadore anruft, ist Francesca ganz aus dem Häuschen. „Wann kommst du uns mal besuchen?“, fragt sie. „In zehn Minuten bin ich da“, antwortet der Flammkuchen-Franz. Wenig später tauscht man bei Kaffee und Kuchen Erinnerungen aus.
So freudig überrascht wie die Da Deppos ist auch Maria Prieß. Die Alzeyerin, die bis zu ihrer Pensionierung an der Nibelungenschule unterrichtete, lebt jetzt in Heiligenblut in der Großglockner-Region. „In einem Haus ganz außerhalb des Ortes am Berg“, schildert Franz Wahner. Bei einer Gemüsesuppe redet man auch hier über alte Zeiten, bevor es weitergeht.
Am vergangenen Sonntag, einen Tag vor seinem Geburtstag, sind beide von den „1000 Kurven in den Himmel“ nach Alzey zurückgekehrt. Im Kopf schon das nächste Reiseziel: Als Zaungast zur Tour de France nach Südfrankreich. Doch zuerst muss er noch ein paar Flammkuchen verkaufen, damit die Reisekasse gefüllt ist. Franz Wahner holt einen Zollstock aus der Tasche und faltet ihn auf 82 Zentimeter auseinander. „82 ist das Durchschnittsalter eines Mannes. Ein paar Zentimeter habe ich noch“, sinniert der unternehmungslustige 68-Jährige.
Auf die Frage, warum es ihn denn in die Welt hinauszieht, kommt ein-mal mehr der Philosoph in ihm zum Vorschein. „Ich fahre so gerne fort, weil ich so gerne heimkomme.“ Spricht‘s, lächelt und streichelt Lilly am Kopf.