Ist es Putins Totenhaus?

Düsteres „Totenhaus“: Karen Vuong als Aljeja, Gordon Bintner als Alexandr Petrovic Gorjancikov und AJ Glueckert als Skuratov (von links). Im Hintergrund Gal Fefferman als „junge Frau“ im roten Kleid.Foto: Barbara Aumüller  Foto: Barbara Aumüller
© Foto: Barbara Aumüller

Der Intendant Bernd Loebe meldet sich zu Wort, wenn es um verfolgte Theatermacher geht. Als Vorsitzender der deutschsprachigen Opernkonferenz hat er im letzten Herbst einen...

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FRANKFURT. Der Intendant Bernd Loebe meldet sich zu Wort, wenn es um verfolgte Theatermacher geht. Als Vorsitzender der deutschsprachigen Opernkonferenz hat er im letzten Herbst einen Offenen Brief an Russlands Kulturminister Wladimir Medinskij verfasst, um die Freilassung des Regisseurs Kirill Serebrennikov zu fordern. Seit August 2017 wird dieser mit fadenscheiniger Begründung in Hausarrest gehalten. Auch das Staatstheater Wiesbaden setzt ein Zeichen der Solidarität, indem es für die Maifestspiele eine Produktion seines Moskauer Gogol Centers als Europa-Premiere eingeladen hat. Der Titel seiner Inszenierung: „Who is happy in Russia?“

Verdunklung der politischen Großwetterlage

An den Fall Serebrennikov und an diesen provozierenden Titel muss man nach der aktuellen Premiere an Bernd Loebes Frankfurter Oper denken. Ein düsteres Werk gibt es da zum Fest der Auferstehung: „Aus einem Totenhaus“ von Leos Janácek. „Der Premierentermin am Ostersonntag entspricht keinem Wunschdenken, sondern hat sich aus logistischer und unverrückbarer Planung ergeben“, begründet Loebe im Opernmagazin die Entscheidung. Sie passt freilich auch in die beängstigende Verdunklung der politischen Großwetterlage, bei der im Streit zwischen dem Westen und Russland jetzt sogar Dostojewski-Zitate mobilisiert werden.

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Leos Janáceks letzte Oper, 1927/28 geschrieben, spielt in einem sibirischen Straflager. Ihr Text basiert auf Fjodor Dostojewskis autobiografisch grundierten „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“. Dostojewski musste seine revolutionäre Gesinnung mit Arbeitslager und anschließendem Militärdienst bezahlen. Dass sich seit 1850 Grundsätzliches an den Repressionstechniken nicht verändert zu haben scheint, zeigen unter anderem die Torturen der Pussy Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikova im russischen Arbeitslager.

Aber natürlich wäre es die Verkleinerung eines großen Werks, würde man „Aus einem Totenhaus“ nur auf Putins Totenhäuser beziehen. Auch David Hermanns Frankfurter Inszenierung bietet da keine plakative Festlegung – wohl aber eine aktualisierende Rahmenhandlung, die eine solche Deutung nicht ausschließt: Der erste Blick geht in einen modernen Redaktionsraum, in dem eine junge Frau im roten Kleid (Gal Fefferman) und Gorjancikov (Gordon Bintner) an ihren Laptops arbeiten. Ein finsteres Einsatzkommando nimmt die Redaktion auseinander: Gorjancikov kommt ins Lager, während seine Freundin, die Allegorie des freien Worts, geknebelt im Hintergrund für sadistische Teufeleien im Häftlingsalltag bereitgehalten wird.

Verwüsteter Redaktionsraum, traumatisierte Seelen

Am Ende wird Gorjancikov in diesen Raum entlassen und findet auch die junge Frau wieder. Die Verwüstung der Redaktion wird man aber als Bild für die Traumatisierung der Seelen sehen müssen: Es ist kein Happy End mit befreitem Adler. Zwischen düsterem Anfang und bedrückendem Ende liegen 95 pausenlose Minuten, deren Intensität man sich manchmal lieber entziehen würde. Die Folter des zum Journalisten mutierten Häftlings Gorjancikov, dem mit dem Hammer die Hände zertrümmert werden, ist so schwer erträglich wie die Einzelhaft im Glaskasten. Die Brutalität des Lebens in der Männer-Zwangsgemeinschaft wird auch im Chor drastisch ausgespielt (Einstudierung: Tilman Michael).

Unter der Leitung des Gastdirigenten Tito Ceccherini beglaubigt die Musik freilich die verstörenden Szenen im Bühnenbild von Johannes Schütz. Die insistierende Kraft von Janáceks Sprachmelodie formt aus dem Orchestergraben heraus die Szene mit und trifft auf ein hauseigenes Ensemble, in dem neben Gordon Bintner zum Beispiel Karen Vuong als Aljeja, AJ Glueckert als Skuratov oder Vincent Wolfsteiner als Filka Morozov Herausragendes leisten. Ganz besonders feiert das Premierenpublikum den Bariton Johannes Martin Kränzle, der nach schwerer Erkrankung zurückgekehrt ist. Seine Gestaltung der Partie des Siskov ist ein Höhepunkt dieser Produktion, die Kraft und Aktualität der Gattung Oper eindrucksvoll bestätigt.