„Unter Druck kann ich nicht setzen“: Gutenberg (Gunther Emmerlich, rechts) im Finanz-Clinch mit Johannes Fust (Helmut Markwort).
(Foto: hbz / Stefan Sämmer)
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MAINZ - So hat sich der Druckerfürst die Nachwelt nun auch nicht vorgestellt. Die Leute laufen mit leuchtenden Büchern herum, die nervige Klingeltöne absondern. Man hat ihm einen zotteligen Waldschrat-Bart ins Patriziergesicht gehängt. Die Türken sind in Mainz und verkaufen gefüllte Teigtaschen. Und dass die Erde eine Kugel sein soll, ist ja wohl ein schlechter Witz. Höchste Zeit, vom Sockel zu steigen und die Lage zu peilen. Prompt verirrt sich Johannes Gutenberg im Einbahnstraßen-Labyrinth und hustet eine Feinstaubwolke aus.
Dabei hat doch alles historisch verbürgt begonnen. In Rom reibt Piccolomini, Sekretär von Kaiser Friedrich III., 1452 Papst Calixto den letzten Schrei von der Frankfurter Messe unter die Borgia-Nase. Frisch gedruckte Bibelseiten, lupenrein gesetzt und sogar ohne Augengläser lesbar. Ein Hexenwerk aus Moguntiacum, das den Heiligen Vater in Person des Erzkomödianten Helmut Schlösser vor Schreck zu einem Hohelied auf die Zehn Gebote samt Todsünden-Reprise drängt. Ein klerikaler Veitstanz wie zu besten Monty-Python-Zeiten.
Bis dann sonnig aufgekratzt Fremdenführerin und Ehrenbürgerin Margit Sponheimer, eine Touristentraube im Schlepp, in die Jetztzeit umswitcht, vor der Denkmalsilhouette suffseligen Schwaben den größten Sohn der Stadt als „Steve Jobs der Renaissance“ anpreist und gleich auch noch eine anrührend weintrunkene Mainz-Hymne spendiert.
Gassenhauer-taugliche Songs über den Millennium-Mann
551 Jahre nach den Tod des Erfindergenies hat Mainz nun sein Gutenberg-Musical. Eine mit Gassenhauer-tauglichen Songs gespickte Geschichts- und Geschichtenrevue aus der Feder von Regisseur Frank Golischewski, die im ausverkauften Unterhaus Uraufführung feierte. Ein musikalisches Welttheater um den „Man of the Millennium“ auf engstem Bühnenraum, orchestriert von einer dreiköpfigen Combo (Christian Seisel, Karl Koch, Reinhold Uhl), dessen Szenen-Tableaus munter durch Zeit und Raum springen. Von Rom über Straßburg bis nach Mainz, wo es in der Druckerwerkstatt zwischen Gutenberg, dem Opernsänger Gunther Emmerlich mit sonorem Bass auch stimmlich Format verleiht, und seinem Geldgeber Johannes Fust hoch her geht.
Ex-„Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort, der in seinem Pelz-Ornat aussieht, als sei er geradewegs einem Hans Holbein-Gemälde entsprungen, scheint die Rolle des auf (Bibel)-Resultate und Rendite pochenden Geldhais („Asche zu Asche in meine Tasche“), dessen Kreditrückforderungen Gutenberg in den Ruin treiben, sichtlich zu genießen. Als Früchte des Zoffs der beiden gewichtigen Kombattanten fallen neben einem klingenden Taler-Menuett auch jede Menge druckbasierte Wortspiele an. Gutenberg: „Ich lasse mich nicht pressen.“ Fust: „Deine Gefühle stehen hier nicht im Fokus“. Nebenbei erfährt man, wie Gutenberg seine Lettern goss, die Spezialtinte zusammenmixte und sie mit einem Ballen aus engporigem Hundeleder auf die Druckform auftrug.
Golischewski, der selbst souverän den aufgeklärten Gelehrten Piccolomini mimt, schafft den Spagat, das Wenige, was man vom Leben Gutenbergs weiß, vor dem Panorama des späten Mittelalters und der Neuzeit in mal heitere, mal hintersinnige Charakterbilder zu packen, ohne sie allzu sehr durch „Fakten, Fakten, Fakten“ (Markwort) einzutrüben. Denn bei aller forcierten Sangeslust: Eine gute Portion Wissens-Entertainment will das Musical über knapp zwei Stunden auch bieten. Das gelingt am besten, wenn die Drucker-Geschichte auf große Gefühle trifft. Wie in der Straßburg-Episode, als Gutenberg seine Braut Ennelin schmählich sitzen lässt. Glänzend und stimmstark gespielt von Jasmin Reif, die zusammen mit Dennis Johnson und Sebastian Zipp auch als Gutenberg-Gothic-Rap-Gang überzeugt. Oder wenn Fust seinen Adoptivsohn Peter Schöffer à la carte mit Tochter Christina unter die Haube bringen will, was in ein elegisch-heiteres Duett zwischen Markwort und Sponheimer über die Fallstricke der Liebe und ihre Metaphernmacht mündet. Bevor der Medienrevolutionär, schuldbewusst schwankend zwischen göttlicher Wahrheit des Wortes und teuflischen Ausgeburten von Fake News beziehungsweise Johann-Lafer-Kochbüchern, irre wird an den Folgen seiner Erfindung, entpuppt sich die ganze Geschichte in einer finalen Volte als Traum vor einer Bücherwand.
Standing Ovations für eine ebenso vergnügliche wie lehrreiche Historienreise durch die Gutenberg-Galaxie, die Mainz endlich auch ein Denkmal zum Mitsingen beschert.