DIE AUTORIN
Ingeborg von Zadow (Jahrgang 1970) lebt in Heidelberg. Nach dem Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen avancierte sie ab 1993 zu einer Kindertheaterautorin vor allem für sehr junge Zuschauer. „Raus aus dem Haus“ wurde 2012 uraufgeführt und liegt auch in einer Opernfassung vor. Internet: www.ingeborgvonzadow.com (sb)
DARMSTADT - Die Foyers des Darmstädter Staatstheaters sind ja wahrlich keine intimen Räume, in denen man Spiel- und Kuschelecken vermutet. Ästheten der sterilen Sachlichkeit, die es gern kühl und klar, offen und nüchtern haben, sind hier richtig. Kinder also, sollte man denken, sind da völlig falsch; zumal solche, die gerade mal zwei, drei Jahre alt sind. Doch dann wird das Licht gedämpft, die Schauspieler Gabriele Drechsel und Robert Lang kommen hinter der geschwungenen Reihe der krankenhausweißen Garderobenschränke im Großen Haus hervor, pfeifen, krähen und rufen „kuckuck“, locken die Besucher in das Land hinter den Schränken, wo es erstaunlicherweise fast ein wenig nach Kinderladen aussieht.
In einem halben Stündchen vergeht ein ganzer Tag
Ausstatterin Sarah Sauerborn hat für Ingeborg von Zadows Stück „Raus aus dem Haus“ Sonne, Haus und Mauer auf Packpapierbahnen gestrichelt. In der Mitte um eine Säule herum können die Kleinen auf Matten sitzen, die Großen nehmen im Hintergrund auf Stühlen Platz. Nike-Marie Steinbach, die mit „Auerhaus“ in den Kammerspielen bereits gezeigt hat, dass sie Jugendliche ansprechen kann, hat nun für die absoluten Anfänger inszeniert: In einem halben Theaterstündchen vergeht ein ganzer Tag.
Bei der Premiere am Mittwochvormittag ist der Anteil kleiner Besucher noch überschaubar. Gerade mal eine Handvoll Knirpse ist gekommen. Manche auf Mamas Arm, die mutigsten an Papas Hand. „Raus aus dem Haus“ bedeutet hier ja auch „Rein ins Theater“. So wie die beiden Figuren ohne Namen zaghaft die Welt vor ihrem Häuschen erobern, gilt es für die kleinen Zuschauer, das Anderland der Bühne zu erkunden, dessen Spielregeln sie ja nicht kennen. Spaß und Schreck liegen da dicht beieinander, je nach Temperament des Zielpublikums.
Die Heidelberger Autorin Ingeborg von Zadow hat schon mehrfach für die Kleinsten geschrieben, verfasst Drei-Wort-Sätze und Pingpong-Dialoge, die sich reimen. Wenn Gabriele Drechsel und Robert Lang knapp unter der Foyerdecke die Spinde erklimmen, die ein Gebirge darstellen, dann heißt es: „Auf den Berg, du Zwerg“. Ihre Figuren erwachen ineinander verknotet auf einer Ablage. Langsam erwacht dabei auch das Spiel, die beiden frühstücken wie Comicfiguren „knirsch-knack-kau-schluck“, dann geht es ins Freie, wo sie Haschmich spielen und eine Maus huscht, die so schnell und klein ist, dass man sie sich vorstellen muss.
Dafür ist das Rindviech vor der Hütte nicht zu übersehen: Robert Lang stülpt sich eine gehörnte Pappschachtel aufs Haupt, klettert in eine größere Pappbox und verwandelt sich so in einen leibhaftigen Kita-Minotaurus. Wenn dann noch Gabriele Drechsel laut muht, kann es sein, dass empfindsame Kinder es schon mit der Angst zu tun kriegen. Ohnehin sind die Reaktionen der Kleinen für die großen Begleiter ja allemal die interessantere Schau: Ein Mädchen kommt schon knatschig rein, sucht Muttis Schulter, schaut dann mal zu und gleich doch lieber weg, rennt nach hinten zur Oma, dann wieder zur Mama. Man könnte ja was verpassen. Ein Knirps krabbelt, einer hopst, ein mutiges Mädchen trippelt immer wieder nach vorne, sichert das Terrain aber stets nach hinten ab. Nicht, dass Mama plötzlich weg ist.
Als die Schauspieler dann Korken verteilen, die man in die Löcher der Garderobentüren stecken kann, helfen viele Kinder mit und haben wahrscheinlich keine Ahnung, dass sie gerade Theater spielen: Staatstheater zumal! Was für ein seliger Zustand: Da spielt man auf allen Vieren, ohne zu ahnen, dass man gerade mitten durch die Kunst krabbelt.