Stirbt die E-Gitarre aus?

Jimi Hendrix Archivfoto: Bruce  Fleming/HERITAGE AUCTIONS/dpa  Foto:

Die dicken Stahlsaiten schwingen, ein ohrenbetäubender Sound tönt aus den Marshall-Türmen, bisweilen etwas kratzig, hart, unnachgiebig. Ein Rockstar ohne seine E-Gitarre?...

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MANNHEIM/MAINZ. Die dicken Stahlsaiten schwingen, ein ohrenbetäubender Sound tönt aus den Marshall-Türmen, bisweilen etwas kratzig, hart, unnachgiebig. Ein Rockstar ohne seine E-Gitarre? Das scheint unvorstellbar. Und doch beginnt es in der Branche zu kriseln. Verschiedene Medien melden, dass der Traditionshersteller Gibson 500 Millionen Dollar Schulden mit diversen Darlehen angehäuft haben soll – deren Rückzahlung nun fällig wird. Das „Handelsblatt“ sieht den Hersteller daher sogar schon „vor dem Bankrott“.

Jimi Hendrix Archivfoto: Bruce  Fleming/HERITAGE AUCTIONS/dpa  Foto:

Ist das der Beginn des Verschwindens der E-Gitarre aus der kommerziellen Musik? Mit Blick auf die Charts mag sich diese düstere These bestätigen. In den Singlecharts laufen vor allem elektronische Musik und Popsongs rauf und runter. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen Musiker wie Jimi Hendrix, Jimmy Page, Carlos Santana und Eric Clapton mit ihren virtuosen Künsten (übrigens oft einer Gibson entlockt, oder natürlich einer Fender) die Hörerschaft verzückten. Zwar lassen die alten Gitarrenhelden zum Teil noch immer die Finger über die Saiten fliegen, an Nachwuchs ist aber kaum zu denken. Mit Künstlern wie Josh Homme von den Queens of the Stone Age, Jack White von den White Stripes oder Dan Auerbach von den Black Keys gibt es noch immer sehr gute und versierte Gitarristen, allerdings halten diese sich in ihrer Selbstinszenierung deutlich zurück und lassen lieber die Musik sprechen.

Guitar Heroes wie damals seien heute auch gar nicht mehr denkbar, sagt Udo Dahmen, künstlerischer Direktor der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. „Die Guitar Heroes der 70er waren die Wunschvorstellung für die damalige Generation. Ein Image mit Sex, Drugs and Rock ‘n‘ Roll. Das passt zur heutigen jungen Generation nicht mehr, sie wollen ihre eigene Musik. Heutzutage nutzen Künstler dieses Hero-Image eher als Parodie.“ Dabei denke er an Bands wie „Steel Panther“ oder „J.B.O.“, die mit Posen und Powerchords polarisieren. „Die E-Gitarre vermittelt heute ein anderes Lebensgefühl. Früher stand sie für Anarchismus. Heute ist eher für Vielseitigkeit.“ Für Dahmen spielt auch eine weitere Entwicklung eine Rolle: „Ich glaube, dass es in der Popmusik heute weniger darum geht, was der Einzelne kann. Es geht eher um die Gemeinschaft. Das kann man vor allem bei Hip-Hop beobachten, bei dem sich eine eingeschworene Gemeinschaft entwickelt hat. Aber auch in der Rockmusik stehen eher die Bands an sich und weniger einzelne Gitarristen im Vordergrund.“

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Die E-Gitarre gehe heute gewissermaßen in der Vielzahl der Musikstile etwas unter. „Wir hatten noch nie eine größere Diversität als heute. Viele Musiker bedienen sich da auch gerne an den alten Sachen, erfinden sich aber auch neu.“ Auch an der Popakademie in Mannheim bewerben sich nach wie vor viele junge Leute, um Gitarrist zu werden. „Die Qualität der einzelnen Musik wird zudem immer besser, auch weil es einfach viele verschiedene Stile gibt, in denen sie sich ausprobieren können.“ An einen Tod der E-Gitarre in der Popmusik glaubt Dahmen aber nicht. „Ich glaube, dass sich die Rolle der Gitarre an sich verändert. Sie passt sich den neuen Stilformen an.“

Roland Kalus, Gitarrist aus Bechtolsheim und Betreiber des dortigen Kulturguts, sieht das ein bisschen anders. „Die Rockmusik als handgemachte Musik verschwindet – zumindest aus dem Mainstream“, meint er. Man mache es sich heute sehr einfach, nutze Samples und Snippets. „Ich finde es zum Beispiel komisch, einen DJ als Musiker zu bezeichnen.“ Musik sei heutzutage mehr ein Produkt als etwas Handgemachtes. „Ich halte es alles für zu beliebig, zu sehr auf den Personenkult zentriert.“ Echte Künstler wollen Kunst in die Welt tragen und etwas verändern. „Das sehe ich heute kaum noch“, sagt Kalus.

Renaissance der Akustikgitarre

Guitar Heroes gebe es zudem ebenfalls nicht mehr, E-Gitarren-Soli würden im Radio ausgeblendet. Die Gitarre sei eben nicht mehr für den Mainstream geeignet, meint der Gitarrist. Doch es gebe immerhin eine Renaissance der Akustikgitarre. Das beweisen Künstler wie Ed Sheeran, Clueso oder Mumford & Sons. „Im Moment sind eben Singer/Songwriter angesagt. Das kann sich aber auch sehr schnell wieder ändern.“

Ganz aufgeben würde er die E-Gitarre aber auch nicht, sagt Kalus. „Es sind Wellenbewegungen, und auch das Elektronische wird irgendwann wiederkommen.“ Es sei auch stark spartenabhängig. Im Heavy Metal zum Beispiel gehe es ja gar nicht ohne E-Gitarre. „Auf Festivals funktioniert das sehr gut. Im Radio allerdings verschwindet die E-Gitarre zusehends.“

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Von Denise Frommeyer