Interview mit „Rind“-Geschäftsführer Florian Haupt in Rüsselsheim
Seit 25 Jahren ein Platz für Musik, Schauspiel, Literatur und Film: Kulturzentrum „das Rind“. Archivfoto: Jens Etzelsberger
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RÜSSELSHEIM - Das Rüsselsheimer Kulturzentrum „das Rind“ feiert im Oktober sein 25-jähriges Bestehen. Diese Zeitung sprach mit dem Geschäftsführer Florian Haupt über das markante Datum.
Herr Haupt, die Geschichte des „Rindes“ geht auf das „Freie Kulturcafé“ in Haßloch zurück, dem vor seinem Umzug in die Mainstraße der Ruf anhaftete, eine Heimstatt für gesellschaftlichen Protest aller Art zu sein. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Musste das sein?
Das „Rind“ hat etliche Wandlungen durchgemacht. Der drastischste Übergang war da der vom damaligen „Kulturcafé“ mit stramm linker Ausrichtung zum vermeintlich unpolitischen „Rind“. Ich persönlich halte nichts davon, wenn man als Kulturinstitution eine politische Gesinnung wie eine Monstranz vor sich her trägt. Ich sehe mich hier auch eher als Moderator und denjenigen, der die Möglichkeiten bereitstellt, in deren Rahmen neben kulturellen auch politische Ansätze verfolgt werden können. Meine eigene politische Haltung lasse ich in der Arbeit im „Rind“ komplett außen vor. Dafür habe ich genug andere Möglichkeiten, mich in der Stadt politisch einzubringen.
In den ersten Jahren kämpfte das „Rind“ gegen den Eindruck, so etwas wie ein kulturell grundiertes Jugendzentrum zu sein. Wie steht Ihr Haus denn heute da?
Das „Rind“ als Jugendzentrum ist ein immer wiederkehrendes Missverständnis. Unser Programm richtet sich schon immer an alle Altersklassen. In den letzten zehn Jahren hat sich das „Rind“ aber noch mal grundlegend geändert, wie ich finde. Der gesamte Kulturbetrieb hat sich deutlich professionalisiert. Wir haben ein so umfangreiches und breites Kulturangebot, wie noch nie in der Geschichte des „Rindes“. Zur Einordnung der Veränderung: Der Umsatz im Kulturbetrieb hat sich zwischen 2007 und heute verfünffacht.
Seit 25 Jahren ein Platz für Musik, Schauspiel, Literatur und Film: Kulturzentrum „das Rind“. Archivfoto: Jens Etzelsberger Foto:
Konzert-Atmosphäre im „Rind“-Saal beim Gastspiel von „Elfmorgen“ im Jahr 2016. Archivfoto: Vollformat/ Volker Dziemballa Foto:
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Der Kulturbetrieb im „Rind“ wird großteils durch städtische Zuschüsse getragen. Gerät das Haus dadurch nicht allzu sehr in eine Abhängigkeit von Verwaltung und Politik?
Ganz im Gegenteil. Wir finanzieren uns fast ausschließlich selbst. Im Veranstaltungsbetrieb beträgt die Förderung gerade mal zwölf Prozent. Wenn man die Gastronomie dazuzählt, die zur Gesamtfinanzierung des Hauses maßgeblich beiträgt, sind es sogar nur fünf Prozent. Das heißt, wir erwirtschaften 95 Prozent selbst. Das „Rind“ ist vielmehr chronisch unterfinanziert, und auch im Vergleich mit anderen Zentren in Hessen oder bundesweit steht das „Rind“ in Bezug auf die Förderung extrem schlecht da. Vergleichbare Zentren erhalten hier deutlich höhere Förderungen, oftmals das vielfache. Die Realität im „Rind“ besteht aus Selbstausbeutung, prekären Arbeitsverhältnissen, unsicheren Perspektiven und jeder Menge Herzblut und vielen Freunden des Hauses, die den ganzen Laden in dieser Form stemmen. Eine Abhängigkeit gibt es auf keinen Fall, eher sehe ich die Politik schon lange in der Bringschuld, diesen Zustand zu verändern.
ZUR PERSON
Florian Haupt ist 42 Jahre alt. Geboren wurde er 1975 in Mainz. Er ist in Rüsselsheim aufgewachsen.
Seit 2002 engagiert er sich für das „Rind“.
Seit 2008 arbeitet er als Geschäftsführer. (std)
Hat das „Rind“ in der Mainstraße eigentlich eine Zukunft? Das einstige „Canadian Club“-Grundstück soll mit Wohnungen bebaut werden…
Die dramatischen Veränderungen in der Innenstadt haben natürlich dazu beigetragen, dass viel mehr Leben in und um die Mainstraße gekommen ist. Hier ist viel Positives entstanden. Mit unseren neuen Nachbarn, dem Restaurant und Hotel der Familie Höll, und auch der bald eröffnenden Brauereigaststätte und Hotel gegenüber klappt die Kommunikation und Zusammenarbeit bis jetzt gut. Wenn jedoch direkt neben unserem Veranstaltungsraum Wohnungen entstehen, da brauchen wir uns nichts vormachen, dann wird das „Rind“ von heute auf morgen schließen müssen.
Zuletzt war schon von einem Umzug ins Opel-Altwerk die Rede. Was versprechen Sie sich davon? Und wie müsste ein neues „Rind“ dort beschaffen sein?
Die Idee für einen Umzug ins Altwerk geistert schon seit langem durch die Stadt. Ich kann mir das auch gut vorstellen, aber inwieweit Politik und Verwaltung bereit sind, mit uns große Sprünge anzugehen, wird sich herausstellen. Wenn ich mal träumen darf, dann kann ich mir sehr gut ein „Rind“ im Altwerk vorstellen, das den Charme und die Historie dort aufgreift. Darüber hinaus bräuchten wir flexible Veranstaltungsräume, die für kleine Veranstaltungen bis hin zu Hallenkonzerten mit mehreren hundert Besuchern genutzt werden könnten. Das wichtigste wären aber vor allem professionelle Veranstaltungsbedingungen in Bezug auf Raum- sowie Technikausstattung.
Wie steht das „Rind“ denn in der Region da? Kommen nur Gäste aus Rüsselsheim, oder gehören auch Frankfurter oder Mainzer zu Ihren Kunden?
Bei einigen Sparten, die wir anbieten, kommen auch durchaus viele Menschen aus der ganzen Regionen ins „Rind“. Gerade bei den Szene- oder Subkultur-Angeboten gibt es einen regen Austausch zwischen lokalen Besuchern und Besuchern aus dem Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus.
Sie zeichnen für die Kulturprogramme verantwortlich. Von welchen Absichten lassen Sie sich dabei leiten?
Ich versuche, ein möglichst breites Angebot zu schaffen, das ein großes Spektrum an Popkultur abdeckt. Bei der Arbeit am „Rind“-Programm muss man aber auch realistisch bleiben. Gegen die großen Player in der Region wie den „Schlachthof“ in Wiesbaden oder die „Centralstation“ in Darmstadt haben wir natürlich keine Chance, zumal wir hier auch wieder über Finanzierungen und Zuschüsse reden müssten. Man muss aus der Not eine Tugend machen, Nischen besetzen, private Kontakte nutzen, Netzwerke knüpfen und natürlich ein offenes Ohr für die Wünsche und Anregungen des Umfelds haben. Gerade die Zusammenarbeit mit den regionalen Künstlern und Initiativen ist immens wichtig. Nahezu keine Veranstaltung findet ohne eine wie auch immer geartete Kooperation statt. Ähnlich wie anfangs gesagt: Ich sehe mich hier nicht als den wichtigen Programmchef, den Impresario, der top-down ein Programm macht, das andere durchzuführen haben. Ich bin der Typ, der mit Leute spricht und sie zusammenbringt, Ideen ermöglicht, Netzwerke knüpft und die Plattform bereitet, auf der andere sich kreativ austoben können.
Zu Zeiten von „Phono Pop“ hatte man den Eindruck, dass das „Rind“ mit neuen Produkten auf Expansionskurs gegangen sein könnte. Gibt es zurzeit solche Pläne?
Das „Phono Pop“ war ein einzigartiges Projekt, das wir im Team ganze zehn Mal auf die Beine gestellt haben und damit auch weit über die Grenzen der Region für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Aber dieses Projekt ist abgeschlossen, und aktuell gibt es keine Pläne in dieser Hinsicht. Ich denke, man darf nicht nur hochfliegende Pläne haben, man muss auch seine Grenzen kennen. Und vor allem muss man wissen, was der Hauptzweck der eigenen Arbeit ist. Und das ist nun mal primär, ein kulturelles Angebot vor Ort zu schaffen!
Schauen wir fünf Jahre nach vorn: Das „Rind“ feiert 30-jähriges Bestehen! In welchem Zustand?
Der 30. wird in einem neuen, eindrucksvollen Haus, auf einer tollen und professionellen Bühne stattfinden, mit vielen fantastischen Künstler und einem wie gewohnt liebenswerten Team, das mit vollem Elan bei der Sache ist. Wo? Keine Ahnung! Aber so wird es sein.