Mit Vorbands ist das ja so eine Sache und wenn Gisbert zu Knyphausen quasi zur Winteredition des „Heimspiels“ in den Schlachthof ruft, steht der Support mutmaßlich vor...
WIESBADEN. Mit Vorbands ist das ja so eine Sache und wenn Gisbert zu Knyphausen quasi zur Winteredition des „Heimspiels“ in den Schlachthof ruft, steht der Support mutmaßlich vor einer schwierigen Aufgabe. Die meistert Kanadier Mark Berube, der locker als jüngerer Bruder von Glen Hansard durchgeht, sympathisch und souverän. Unterstützt von Kristina Koropecki bezaubert er mit witzigen Anekdoten, vor allem aber mit seiner Musik, die sich nicht in eine Schublade stecken lässt und aus der „Yesterday’s Halo“ kraftvoll hervorsticht. Das Duo verlässt von warmem Applaus begleitet die Bühne und macht Raum für den Rückkehrer.
Friedhofskapelle der Sehnsucht
Wobei, so wirklich weg war Gisbert zu Knyphausen ja nie, aus der Region, den heimischen CD-Playern oder den Herzen der Fans. Das letzte Solo-Album liegt dennoch sieben Jahre zurück, fünf sind seit jenem wunderbaren „I“ vergangen, das er mit Nils Koppruch als Kid Kopphausen veröffentlichte. Gemeinsam sollte es auf Tour gehen, doch Koppruch stirbt überraschend und Knyphausen zieht es den Boden unter den Füßen weg. Es dauert lange, bis er sich erholt und noch länger, bis er weiß, er wird weiter Musik machen. Das Warten, es hat sich gelohnt.
Mit seiner fünfköpfigen Band spielt Knyphausen auf einer ganz in Blau getauchten Bühne das erste Lied der neuen Platte, „Niemand“, das bereits die Weichen stellt fürs Themenspektrum: Licht, das man nicht zu fassen bekommt, Freiheit, die brüchig ist, Spiegel, die mehr infrage stellen, als zu erkennen geben. Doch das Licht brennt: „für dich, für dich“. Um den singenden Poeten brennen ebenfalls Lichter, gebaut aus Schlagzeugbecken, flackern und leuchten. Seine Band, ganz in Schwarz, eine Friedhofskappelle der Sehnsucht.
Doch die kann auch anders. Taucht auf aus der blauen Unterwasserwelt, schnappt nach Luft. „Stadt Land Flucht“ wird auf der Bühne von der vorsichtig formulierten Frage zum kraftvoll, rotzigen Bekenntnis über das Hierbleiben, denn: „Was könnte denn jetzt besser passen, als das?“ Knyphausen und die Band, zu der auch Album-Produzent Jean-Michel Tourette, ehemals „Wir sind Helden“ gehört, funktionieren prima. Das ändert aber nichts daran, dass gerade jene Songs, die er im zarten Lichtkegel alleine auf der dunklen Bühne singt, spezielle Kraft entfalten. Die vertonten Lebensweisheiten vom Kommen und Gehen, Halten und Loslassen, Leben und Sterben, graben sich beinahe geflüstert ganz besonders unter die Haut.
„Ich hoffe, es geht euch gut!“, stellt der in Wiesbaden geborene Liedermacher mit fragendem Unterton fest, seine Fans in der nicht ganz ausverkauften Halle klatschen und jubeln. „Gisbert, wir lieben dich!“, rufen sie. Fast bis in die letzte Reihe sieht man den sympathischen Tiefstapler da erröten, bevor er gut gelaunt „Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen“ (Hurra! Hurra! So nicht!) anstimmt. Man muss das natürlich abkönnen, dieses Ausufern, diese brutale Verletztheit, das Bedingungslose einlassen. Doch Knyphausens Texte wirken in all ihrer Offenheit nie plump, dazu sind sie zu klug und präzise, dazu ist er selbst zu authentisch.
Auch der tote Freund ist irgendwie mit dabei, nicht nur bei „Wer bin ich“ vom gemeinsamen Album, sondern vor allem dank „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“. Knyphausen hat den Koppruch-Song fertiggeschrieben und wirft damit kurz vor Konzertende den Blick noch mal zurück. Das darf durchaus als Motto seiner aktuellen Musik verstanden werden: Ohne die Rückschau bleibt der Blick nach vorne kraftlos. Ohne den Mut zur Zukunft war der Schmerz der Vergangenheit vergebens.
Von Mara Pfeiffer