Die Internationalen Ferienkurse in Darmstadt inszenieren Hauskonzerte mit dem Nadar-Ensemble
Von Johannes Breckner
Redaktionsleiter Bergsträßer Echo
Performance in der Wohnküche: Cathy van Eck macht Musik mit Notenständern. Foto: Kristof Lemp / Copyright IMD 2018
( Foto: Kristof Lemp / Copyright IMD 2018)
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DARMSTADT - Vor vier Jahren hatte das belgische Nadar-Ensemble mehrere tausend Zuhörer, als es in Darmstadt den Georg-Büchner-Platz bespielte und vier Heißluftballons fauchen ließ. Aber das Klangkollektiv, dessen Musiker unterschiedliche Besetzungen bilden, spielt auch für eine Handvoll Besucher. An zwei Tagen suchten die Darmstädter Ferienkurse mit Nadar-Musikern die Intimität von Hauskonzerten. Die waren früher einmal ein Höhepunkt bürgerlicher Musikkultur, für den die Möbel beiseitegerückt und alle Stühle des Hauses zusammengetragen wurden, damit man sich andachtsvoll um den Flügel scharen konnte. Hinterher gab’s Getränke und Häppchen.
Möbel wurden im Arzthaushalt im Paulusviertel auch gerückt. Aber sonst war alles anders. Martin Schüttler und Nikolaus Witty haben für ihre Installation „Free Darmstadt“ das Wohnzimmer geteilt – der größere Raum ist leer, in den verlassenen Regalen stehen weiße Hefte, auf deren Seiten jeweils nur ein Name steht: von A bis Z alle Komponisten, deren Werke bei den Ferienkursen in Darmstadt je gespielt wurden.
Bücher und Mobiliar türmen sich
Dass hier Darmstadt-Geschichte inszeniert wird, passt zum Raum, immerhin haben die Bewohner die Kursteilnehmer medizinisch betreut, sind darüber zu großen Freunden der Neuen Musik geworden und hüten selbst einige Kurs-Archivalien, darunter Programmhefte, in denen säuberlich die Qualität des Gehörten differenziert wird.
DIE STADT ALS KLANGTHEATER
An diesem Donnerstag, 26. Juli, bespielen Teilnehmer der Ferienkurse den öffentlichen Raum in Darmstadt. „Street Music“ heißt das Projekt der Akkordeonklasse von Krassimir Sterev.
Ab 16 Uhr spielen die Solisten Stücke, die auf die jeweilige Umgebung abgestimmt sind – unter anderem im Luisencenter und in der angrenzenden Fußgängerzone. Danach eröffnen Schlagzeuger das „Nature Theatre of Darmstadt“, ein Klanglaboratorium, das Geräusche des Alltags aufgreift; die Werke verschiedener Komponisten werden im Herrngarten aufgeführt.
Beginn der Aktionen: Um 16 Uhr am Luisencenter, um 16.40 Uhr am Herrngarten, Eingang beim Landesmuseum. (job)
Die Kuratoren dieses Projekts haben aus der Ferienkurs-Geschichte imaginäre Konzerte zusammengestellt, die man über Kopfhörer erleben kann. Das hören auch die Nadar-Musiker Marieke Berendsen und Yves Goemaere, die hinter der geschlossenen Glastür im kleineren Raum agieren. Viel Platz haben sie nicht, denn hier türmen sich Bücher und Mobiliar des leeren Zimmers. Aber ein paar Instrumente haben sie, mit denen sie auf die Musik aus dem Kopfhörer antworten, was wiederum ins Nachbarzimmer übertragen wird. Berendsen zupft mit einem Schaschlikspieß Gitarrensaiten, Goemaere streicht sanft über ein Becken, beide sind mit konzentriertem Ernst bei der Sache, und hinter der Scheibe schauen sie ein wenig aus wie Zoobewohner.
Man weiß nicht, welche Note der Ferienkurs-Arzt in seinem Programmheft vergeben hätte, aber die Installation entfaltet einen stillen Reiz. Das gelingt auf ganz andere Weise auch beim Hauskonzert ein paar Straßen weiter. Im Haus der Steinmetz-Familie Wittmann, direkt am Bessunger Friedhof gelegen, steht zwar ein ziemlich ramponierter Flügel, aber die Performerin Cathy van Eck macht Musik mit dem Notenständer, an dem Tonabnehmer und Lautsprecher befestigt werden. Die Zeremonie des konzentrierten Aufbaus erfüllt die Wohnküche der WG mit anwachsenden Geräuschen, dann formt van Eck zwei Notenständer zur Skulptur. Je bizarrer die Form, desto verwirrender der Geräusche-Mix. Der Nadar-Gitarrist Toon Callier greift ihn auf und reduziert das Geschehen auf eine Ein-Ton-Meditation, die sich im Raum ausbreitet. Und dass die Zahl der Zuhörer so klein ist, macht das Erlebnis nur umso intensiver.