Die syrische Schriftstellerin Wadid Nabi ist die erste Stipendiatin des Wiesbadener „Weiterschreiben“-Stipendiums. Anfang September kommt sie für drei Monate in die hessische Landeshauptstatdt.
WIESBADEN - Widad Nabi ist die erste Stipendiatin des „Weiterschreiben“-Stipendiums Wiesbaden, das der Förderverein Literaturhaus für geflüchtete Autorinnen und Autoren in diesem Jahr ausgeschrieben hat. Widad Nabi ist 1985 in Syrien geboren, lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin. Das Stipendium finanziert einen dreimonatigen Aufenthalt in Wiesbaden. Widad Nabi tritt ihn Anfang September an.
Frau Nabi, mit welchen Gefühlen kommen Sie am 1. September nach Wiesbaden, um das Stipendium des Fördervereins Literaturhaus anzutreten?
Ich weiß nicht viel über Wiesbaden, aber es ist genug zu wissen, dass Dostojewski einen Teil seines Romans „Verbrechen und Strafe“ in Wiesbaden geschrieben hat. Ich habe eine Freundin, die dort lebt und sagt, dass sie die schönste Stadt ist, die sie kennt. Und jede Stadt, die wir nicht kennen, bietet eine gute Gelegenheit, neu und anders zu schreiben.
Was lassen Sie in Berlin zurück?
Ich lasse in Berlin mein kleines Haus zurück und den Mann, den ich liebe, viele Freunde und viele schöne Erinnerungen in Berliner Bibliotheken, Cafés und Parks.
Wie gut werden Sie sich hier in unserer Sprache verständigen können?
Mein Deutsch ist einfach, aber ich kann kommunizieren. Lange Diskussionen finde ich schwierig. Ich benutze Deutsch gut im täglichen Leben und habe ein „c1“-Zertifikat in der Sprachbeherrschung. Aber ich brauche Menschen, mit denen ich täglich Deutsch sprechen kann. So wird es besser. Ich wünsche mir, aus Wiesbaden mit gutem Deutsch zurückzukommen.
Welche literarische Arbeit bringen Sie mit?
Mein Story-Projekt handelt über Stationen in Deutschland, und ein großer Teil davon wird Wiesbaden sein. Ziel der Stationen ist die Verbindung von Ost und West, Liebe und Hass, Toleranz und Rassismus, Krieg und Frieden.
Wie viele Veranstaltungen und Begegnungen dürfen es für Sie sein?
Nachdem ich mit den Organisatoren über das Stipendium gesprochen habe, denke ich, dass die Veranstaltungen nicht zu viele sein sollten. Das Beste ist, das Buchprojekt zu beenden.
Und was möchten Sie gern ganz allein erkunden?
Den Geist der Stadt und ihre geheimen Schlüssel. Dies passiert nur, wenn wir uns in die Stadt verlieben.
Wie wichtig sind Stipendien für geflüchtete Autorinnen/Autoren von der Art „Weiterschreiben“ denn generell?
Das ist heute genauso wichtig wie in der Vergangenheit für deutsche Schriftsteller wie Bert Brecht, Thomas Mann, Hermann Hesse und andere. Die Fortsetzung des Schreibens bedeutet die Fortsetzung des Widerstands, den Widerstand gegen die Gräuel, den Hass, den Krieg, den Tod. Die Realität aufdecken und entlarven, Opfer vor dem Vergessen bewahren, indem man über sie schreibt.
Wie beurteilen Sie die momentane Lage in Syrien, die offensichtlich wieder vom alten Regime völlig beherrscht wird?
Ich habe ein Gefühl von Hilflosigkeit. Wie konnten ein Regime und eine Regierung Hunderttausende Menschen töten, Tausende verhaften, in Gefängnissen foltern, mehr als acht Millionen Menschen vertreiben und ihre Häuser und Leben zerstören? Ich weiß, dass das Leben nicht fair ist, aber auch nicht blind. Die ganze Welt unterstützt leider dieses verbrecherische System, diese Gewalt, Unterdrückung und Tod. Aber wir dürfen dieser Blindheit nicht nachgeben.
Das Interview führte Viola Bolduan.