„Der amerikanische Sohn“ von Bernd Cailloux

Bernd Cailloux beschließt seine autobiografisch gefärbte Roman-Trilogie in New York – der Roman lässt sich jedoch auch lesen, wenn man die beiden Vorgänger nicht kennt.

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. Dieser Roman vollendet nach „Das Geschäftsjahr 1968/69“ aus dem Jahr 2005 und „Gutgeschriebene Verluste“ (2012) eine autobiografisch inspirierte Trilogie. Aber man kann „Der amerikanische Sohn“ auch dann mit Erwartung auf eine unterhaltsame Lektüre in Angriff nehmen, wenn man die beiden Vorgänger nicht kennt.

Der 1945 geborene Bernd Cailloux hat zudem in die ersten Seiten sehr geschickt einige Erinnerungsbrücken eingebaut, die Lesern den Weg in die zurückliegende Lektüre erleichtern: Der Kumpel und Partner in einer Firma für Disco-Light-Effekte aus „Geschäftsjahr 1968/69“, Andreas Büdinger, meldet sich. Und es bleibt nicht das einzige Treffen, das Verbindungen in frühere Tage aufweist. Mit seiner frühen Freundin Nina hat der Protagonist nämlich einen Sohn gezeugt – ist dabei aber von Nina über ihre Absicht im Unklaren gelassen worden. Sie hat vor ihrer Auswanderung nach Jamaika lediglich einen „Samenspender“ gebraucht – sozusagen als Abschiedsgeschenk aus ihrem alten Leben. Von der Existenz dieses Sohnes hat der Erzähler nur per Zufall und viel später erfahren.

Jetzt aber, im Jahr 2014, ermöglicht ihm ein Stipendium einen längeren Aufenthalt in New York, wo er schon in den Siebzigern eine Zeit lang gelebt hatte. Der Autor nutzt die Verbindungen zu früheren Zeiten, Gedanken, Ansprüchen ans und Einstellungen zum Leben zu teils melancholischen, teils satirisch-ironischen Vergleichen und Bezügen zu aktuellen Entwicklungen, Zuständen, zum eigenen Leben. Dazu gehört auch die nicht immer angenehme Frage, was aus den eigenen Plänen und Hoffnungen geworden ist. Da kommt unvermeidlich der Gedanke hoch, an der Bilanz seines Lebens könne nach sieben Jahrzehnten kaum noch was geändert werden: „Ein radikal geführtes Solistenleben im Rückblick zu beklagen, war so quälend wie absurd.“ Allerdings verleiht diese Überlegung der Suche nach dem in Amerika lebenden, vermutlich unter dem Namen Harris als Sportreporter aktiven, verlorenen Sohn zusätzliche Verve. Zuletzt hatte er ihn als Dreijährigen gesehen, nun steht er vor der Frage: „Wie sollte ich erklären, die Pflicht der Vaterschaft verweigert zu haben?“ Sollte er „zugeben, dass die permanente Selbstverwirklichung in Wahrheit der pure Egoismus war?“

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Man merkt als Leser, dass diese Fragen in verborgene, mehr oder weniger zurückgedrängte Winkel vieler Mitglieder seiner Generation weisen. Kann die Begegnung mit dem Sohn zu einer Klärung, zu Antworten beitragen? Zusammen mit den atmosphärisch dichten Beschreibungen aktueller Zustände hierzulande wie in Amerika (in dem schon der Demokratie und Humanität marodierende Geist Donald Trumps zu wittern ist), mit den Blicken hinter die Kulissen etlicher, trickreich aufgestellter und immer mühsamer aufrecht erhaltener Fassaden von Menschen und Lebensumständen bietet „Der amerikanische Sohn“ jede Menge Anregungen, die die Lektüre dieses Romans sehr interessant und lohnend gestalten.