Zum Saisonstart zeigt die szenische Installation „Der sechste Kontinent“ von Bernhard Mikeska Kolonialismuskritik im Elefantenhaus.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Besuch aus dem Kaiserreich: Ein Prüfer (Andreas Uhse) will wissen, wie weit die Forschungen der Tropenmedizinerin (Sophie Melbinger) gediehen sind.
(Foto: Susanne Reichardt)
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HEIDELBERG - Auf dem Weg zur Premiere sind die eigentlichen Hauptdarsteller dieser Naturbühne naturgemäß eine große Konkurrenz für das Theater. Das fängt schon mit den beiden syrischen Braunbären an, die am Eingang eine Wiese abweiden. Auch Schneeeule, Trampeltier und Zebra haben unterwegs zur Spielstätte kurze Auftritte, und die im Wasser schlafenden Mähnenrobben, die aussehen wie Treibgut, schlummern wirklich schauspielpreisverdächtig selbstversunken. Nicht auszudenken, wenn die Elefanten auch noch daheim wären, doch ins Elefantenhaus ist nun das Stadttheater eingezogen – auf der Suche nach unserem inneren Afrika.
„Der sechste Kontinent“ von Autor Lothar Kittstein, Regisseur Bernhard Mikeska und Dramaturgin Maria Schneider spürt unserem Bild des Schwarzen Kontinents in einer szenischen Installation nach. Willkommen im Menschenzoo bei Kunst, Kommerz und Kolonialismus. Vier Figuren aus zwei Zeitebenen teilen sich das staubige Gehege, wobei die eine Hälfte des Publikums zunächst mit Kopfhörern hinter dem Stahlseilzaun bleibt und den Dialog zwischen einer Künstlerin von heute und dem Consultant ihrer Sponsorenbank verfolgt. Die andere Hälfte der Zuschauer sitzt auf Stühlen vor einem künstlichen Baum und erlebt die Begegnung zwischen einer Tropenärztin und einem wilhelminischen Gesandten. Zur Halbzeit tauscht das Publikum die Plätze, und die Szenen wiederholen sich.
Die Künstlerin (Christina Rubruck) hat in Afrika ein Stück Urwald roden und ein Loch ausheben lassen. In Europa soll mit dem Erdreich eine Grube verfüllt werden, in der sich die Performerin wiederum bedeutungsvoll begraben lassen wollte. Geld spielt keine Rolle, die Bank zahlt. Doch das Projekt kommt nicht voran, der Consultant (Benedict Fellmer) wird unruhig, die Künstlerin fiebrig.
Die Ärztin aus dem Kaiserreich wiederum, der die Künstlerin in ihrem Werk nahezukommen versucht, lagert in Gestalt von Sophie Melbinger barfuß und in verdrecktem Mantel am Baumstamm. Afrika scheint ihr das Mark aus den Knochen gesogen zu haben. Im Dienste des tropenmedizinischen Fortschritts hat sie Arsen gegen die Schlafkrankheit eingesetzt. Die Resultate sind unerfreulich. Das ist nicht das, was die durch Krankheit dezimierte Kommission aus der deutschen Heimat hören wollte. Andreas Uhse versucht als letzter gesunder Prüfer mit Tropenhelm, Fliege und Zwirbelbart bürokratische Haltung zu bewahren. Doch mit europäischen Maßstäben lässt sich Afrika offenbar weder wissenschaftlich noch künstlerisch packen.
Die sehr genau abgezirkelte Raum-Inszenierung bewegt sich im Laufe einer Stunde auf ein doppeltes Delirium zu, bei dem die Grenzen der beiden parallelen Sphären schließlich durchlässig werden. Da halluziniert die Künstlerin ihre historische Hauptfigur herbei, ohne dass die beiden einander verstünden. Es liegen eben über hundert Jahre zwischen ihnen. Was sie jedoch eint, ist, dass sie beide Afrika nicht begreifen können. Die Kolonialismuskritik, die das Programmblatt so deutlich formuliert, kommt in diesem Spiel allerdings nicht auf den Punkt. Vielleicht wollte Bernhard Mikeska das aber auch gar nicht. Schließlich sind die Elefanten zwar während der Vorstellung im Außengehege, der Rassismus aber steht als rosa Elefant, über den man nicht spricht, doch unübersehbar auf dem Spielfeld.