Die Schau zeigt das Paris der 1930er-Jahre. Gaston Paris gilt als einer der großen Fotografen seiner Zeit, der die Atmosphäre der Hauptstadt wie kaum ein anderer einfing.
MANNHEIM - Gaston Paris (1905–1964) war einer der populärsten Fotoreporter im Paris der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, „ein Meister der unterschiedlichen Themen und Blickwinkel“, wie in der Mannheimer Ausstellung „Die unersättliche Kamera“ nicht nur zu lesen, sondern zu erleben ist. Er dokumentierte mit seiner Mittelformat-Rolleiflex, was den Metropolen-Bewohner in den 1930-Jahren faszinierte, und brachte es in perfekte Zeitschriften-Form. Vor allem in seinen Aufnahmen für das Magazin „VU“ pulsiert das Leben, ganz egal, ob es sich um Stahlarchitekturen, Chanson-Stars wie Edith Piaf oder nackte Tänzerinnen der Folies Bergère handelt.
Zu sehen sind in der Schau der Reiss-Engelhorn-Museen, die der Auftakt zu einer Kooperation des Hauses mit dem Pariser Centre Pompidou ist, Originalabzüge von Fotografien und Kontaktbögen, dazu Kontaktabzüge der Negative. Ergänzt von Neuabzügen der sechziger und siebziger Jahre sowie digitalisierten Versionen einiger der über 15 000 erhaltenen Negative und einer ganzen Anzahl von historischen Illustriertenseiten wird hier der wache Blick eines perfekten Technikers der Fotografie auf die wechselnden Interessen seines Publikums ebenso klar wie dessen intensive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen.
Zu Beginn der Schau wird der Besucher von perfekten Bildinszenierungen empfangen, die Paris‘ Lust am surreal angehauchten Hingucker-Effekt belegen. Da schieben sich etwa drei lachende Masken so in den Vordergrund einer Aufnahme von 1935, dass die reale Stadtsituation zur Szenerie wird. Das ist Lust am Stillleben.
Doch dann geht es wirklich hinein in die Stadt – und mitten ins Zeitschriftenleben. Sein Reportergeschick beweist der Fotograf einerseits in mehreren Aufnahmen einer klassischen Szenerie: Paris zeigt mehrfach den Flaneur, der sich unbeobachtet glaubt, während er auf eine große Werbewand blickt. Doch da ist auch die Serie von Puppen, Automaten und Figurinen, die er als ebenso faszinierend für die Zukunft wie bedrohlich für das Individuum zeigt.
Die Serienthemen sind zeittypisch: Hier die moderne Cité im Wachsen, die Gaston vom Flugzeug heraus aufnimmt, dort die Bildreportage über modische Reformpädagogik. Gaston Paris berichtet auf Sechs-mal-Sechs-Zentimetern – und er zeigt dabei nicht nur Empathie fürs Geschilderte, sondern auch Fleiß: Originale Kontaktabzüge belegen, wie groß jeweils die Bildauswahl war, die er den Redaktionen vorlegte.
Doch wer war der Mann, der auf Augenhöhe mit Kollegen wie Henri Cartier-Bresson, Brassaï oder Robert Capa gearbeitet hat? Die Ausstellung erklärt: Bis jetzt ist er trotz intensiver Forschungen einer, der vor allem in seinen Fotografien lebt, die zwei Sammler zusammengetragen haben. Denn Gaston Paris geriet in Vergessenheit. Seine Bilder tauchten 1932 gleichzeitig in mehreren Zeitschriften auf, dazu belegen wiedergefundene Verträge, dass er von 1933 bis 1939 bei „Vu“ angestellt sowie für die Zeitschrift „Art et Médecine“ tätig war.
Der Zweite Weltkrieg wurde zum Bruch. Die Ausstellung endet mit Aufnahmen des Jahres 1945, in dem Paris mit den französischen Besatzungstruppen nach Deutschland und Österreich ging. Dort fertigte er Reportagen über das zerstörte Berlin oder die Nazi-Filmregisseurin Leni Riefenstahl. Doch den Anschluss an die große fotografische Szene hat Paris nie mehr gefunden. Seine Karriere endete mit Fotoromanen.