Wie das Rheingau Musik Festival mehr junge Zuschauer gewinnen will
Die RMF-Organisatoren haben ein Problem: Besucher sind im Schnitt ist fast 60 Jahre alt. In Wiesbaden und bei vergleichbaren Festivals will man junge Hörer für klassische Musik begeistern
Von Nina Waßmundt
Editorin
Das Rheingau Musik Festival versucht, neue, jüngere Zielgruppen zu erschließen: Mit Videobotschaften, die via Facebook verbreitet werden, können sich die Künstler direkt an ihr Publikum wenden – eine Möglichkeit, von der unter anderem die Band „Seven“ Gebrauch machte.
(Foto: RMF/Ansgar Klostermann)
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WIESBADEN - Klassischen Konzertformaten haftet stets etwas Elitäres an, teure Kartenpreise inklusive. Und mit dem Elitären auch ein gewisses Alter. Obwohl die klassische Musik in sich zeitlos ist, stellt sich beim Blick auf das „Silbermeer“ grauhaariger Konzertbesucher unweigerlich die Frage nach dem Nachwuchs. Wir fragen uns: Wie bemüht sich das Rheingau Musik Festival (RMF) um neue, frische Formate? Und wie versuchen im Vergleich andere große klassische Musikfestivals in Deutschland, junge Menschen an diese Musik heranzuführen?
Im Schnitt sind RMF-Gäste 55 bis 60 Jahre alt
Das RMF bietet in diesem Festivalsommer 123 500 Karten für 149 Konzerte in 40 Spielstätten. Die Konzertbesucher, das hat das RMF mit Umfragen über Jahre herausgefunden, sind im fortgeschrittenen Alter: Im Schnitt ist das Publikum, je nach Konzertprogramm und Ort, zwischen 55 und 60 Jahre alt. Nur ein Viertel, 24 Prozent, ist nach Angaben des RMF unter 50 Jahre alt, die größte Gruppe stellen die 61- bis 70-Jährigen mit 34 Prozent dar. Konzertgäste, die von den Sponsoren wie Lotto Hessen oder Opel eingeladen werden, seien aber meist jünger, nämlich zwischen 41 und 50 Jahren, so Pressesprecherin Sabine Siemon. Doch dabei stellt sich die Frage, ob klassische Musik nicht primär Imagepflege ist, wo es doch um existenziellere Erfahrung gehen sollte. So sagt etwa Lisa Ballhorn, Programmplanerin des RMF: „Wir wollen den jungen Hörern Glücksmomente zeigen. Es ist einfach unvergleichlich, was live erlebte Musik für Gefühle hervorruft.“ Am schwierigsten sei die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen zu erreichen.
Ob die Preise die jungen Hörer abschrecken? Eine Karte im Kurhaus kann in der besten Kategorie schon mal 90 Euro kosten. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) erhalten Schüler, Studenten und Azubis 50 Prozent Ermäßigung – eine Regelung, die auch beim RMF gilt.
Das RMF versucht mit seinen frischen Formaten vor allem Genregrenzen aufzubrechen. So zum Beispiel bei der Fusion des klassischen Streichquintetts „MIKIs Takeover!“-Ensemble mit einem Pop-Künstler wie Max Mutzke, Joy Denalane oder, in diesem Jahr, Frida Gold. Alina Süggeler, Frontfrau von Frida Gold, ziert auch das Sonderprogrammheft „Rosinen“. Dort werden mit einem poppigen, bunten Design ausgesuchte Konzerte mit jungen Künstlern für Ticketpreise ab fünf Euro beworben. Die „Rosinen“ richten sich klar an eine junge Zielgruppe mit der Botschaft: „Ihr müsst nicht viel Geld bezahlen und erlebt tolle Sachen“, so Ballhorn.
Spielorte wie der Schlachthof tragen auch dazu bei, die steife Konzertatmosphäre aufzulockern. Wie beispielsweise beim Jazz/Elektro-Konzert am 24. August in der Halle mit der Jazzrausch Bigband, die jegliche Stil- und Genregrenzen sprengt. Hiermit hat das RMF sogar einen Club-Tanzabend im Programm. Auch mit der Kleiderwahl sehe man es beim RMF nicht so eng, sagt die Programmplanerin. Tatsächlich kamen viele junge Frida-Gold-Fans zwischen 20 und 30 Jahren in T-Shirt, Jeans oder Sommerkleid und Flip-Flops ins Kurhaus.
Auch durch digitale Angebote geht das RMF mit der Zeit: Seit April gibt es eine App, mit der man Tickets kaufen sowie mit der Suchfunktion Konzerte vormerken kann. Durch Medienpartnerschaften mit dem Deutschlandfunk und dem Hessischen Rundfunk werden einige Konzerte auch per Livestream übertragen. Hinzu kommen Videobotschaften von den Künstlern an den Konzertstätten, die via Facebook gepostet werden.
Trotz neuer Ideen – Vorrang hat weiter das Kerngeschäft
Trotz der neuen Ideen – das RMF konzentriert sich vorrangig auf sein Kerngeschäft: das klassische Symphoniekonzert. „Daher kommen wir und das ist unsere wichtigste tragende Säule“, betont Programmplanerin Ballhorn. Dadurch, dass sie zu 99 Prozent eigenfinanziert und nicht wie andere Festivals vom Land unterstützt werden, könnten sie keine zu großen Risiken eingehen, erklärt Ballhorn weiter.
Das SHMF ist mit 190 000 Eintrittskarten für 202 Konzerte in 107 Spielstätten noch größer als das RMF. Es setzt vor allem auf ungewöhnliche Begegnungen mit den Künstlern und der Musik: Beim Format „Zoom“ nimmt das SHMF-Orchestra beispielsweise im Publikum Platz. Hier erlebt das Publikum, wie es ist, direkt neben einem Posaunisten oder einer Harfenistin zu sitzen. „Das hilft sehr, sich auch ohne Vorkenntnisse auf die Musik einzulassen“, sagt Festivalintendant Christian Kuhnt. Konzertrituale sollten hinterfragt werden.
Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern stehen vor einer strukturellen Herausforderung, da nur wenige Städte im Bundesland liegen und weniger junge Menschen dort leben: „Die Spielorte sind teils sehr entlegen. Deshalb haben wir ein älteres Publikum, das auch mal zweieinhalb Stunden zum Veranstaltungsort mit dem Auto fährt und sich dort mit Hotelzimmer eine schönes Wochenende macht“, sagt Julia Sinnhöfer, Leiterin der Programmplanung. Formate, die ein jüngeres Publikum anvisieren, verknüpft das Festival mit ungewöhnlichen Spielorten wie einer Eisengießerei oder Zeitungsdruckerei.
Abgesehen vom Konzerterlebnis richten sich alle Festivals auch mit Mitmach-Formaten an Kinder und Jugendliche: das RMF seit diesem Jahr mit dem „Rheingau Music Lab“ sowie „Rhapsody in School“; hierfür gehen Musiker in die Schulen. Letztlich bleibt es Ansichtssache, wie man mit den fehlenden jungen Hörern umgeht. RMF-Pressesprecherin Sabine Siemon vertraut darauf, dass die Konzertbesucher nachwachsen: „Vielleicht ist das einfach so, dass sich Menschen erst ab 40 für klassische Konzerte interessieren.“