Vierte Preisverleihung des Mundart-Preises „Spirwes“

Nur echt mit gelben Gummistiefeln: Die „Oigeborne“ bei der Preisverleihung. Foto: Dirk Zengel

Dagegen halten – und Spaß haben: Der mit 3500 Euro dotierte Künstlerpreis ging an das Fürther Sextett „Die Oigeborne“.

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DARMSTADT. Es ist Hans-Joachim Heist, der am Samstagnachmittag im Foyer des Staatstheaters bei der Verleihung des „Darmstädter Kulturpreises für Maulkunst und Lebensart Spirwes“ in seiner Laudatio auf Walter Renneisen den zentralen Satz sagt: „Dialekt ist die Verbindung zum Unmittelbaren.“ So ist es. Nur was ist es, dieses Unmittelbare? Das Simple, gar Blöde? Oder gar die volkstümlich-nett lackierte kleine Schwester, hinter deren lieblichen Lautmalereien sich nichts anderes verbirgt als dumpfe Deutschtümelei?

Nur echt mit gelben Gummistiefeln: Die „Oigeborne“ bei der Preisverleihung. Foto: Dirk Zengel
Zeremonienmeister der Preisverleihung: Florian Harz vom Kikeriki-Theater übernahm die Moderation. Foto: Dirk Zengel

Nichts davon. Vor allem dann nicht, wenn die Verbundenheit zur Sprache der Region so echt und so unmittelbar gelebt wird wie beim „Spirwes“. Der Preis wurde am Samstag bereits zum vierten Mal verliehen, und die Veranstaltung bot so viel Geist, Witz und Tiefgründigkeit, dass man sich schon fragen durfte, warum sie eigentlich – mit der erwähnten Ausnahme des Staatstheaters, für das Operndirektorin Kirsten Uttendorf ein Grußwort sprach – vom offiziellen Darmstadt ignoriert wird.

In Darmstadt jedenfalls gibt es mittlerweile kaum eine bessere Bühne für Mundart. Diejenigen, die ins Theater gekommen waren – und es waren so viele, dass sich einige Zuschauer auf die Treppenaufgänge setzen mussten –, hatten neben nachdenklichen Momenten auch jede Menge Spaß.

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Der „Spirwes“ wird verliehen vom Heimatverein „Darmstädter Heiner“ in Zusammenarbeit mit der Hessischen Spielgemeinschaft und der Darmstädter Comedy Hall (Kikeriki Theater). Logisch also, dass der Nachmittag mit einem Kurzauftritt der Spielgemeinschaft begann. Für die Stadt Darmstadt grüßte der ehrenamtliche Stadtrat Wolfgang Gehrke, und Heinerfest-Präsident Wolfgang Koehler freute sich einmal mehr darüber, dass der „Spirwes“ sich über die Jahre zur „inoffiziellen Eröffnung“ des Festes gemausert habe: „Ihr bewahrt etwas, auf das wir schon früher besser hätten aufpassen müssen“, sagte er an die Adresse der Organisatoren.

Erster der Belobigten war Walter Renneisen, der den mit 1000 Euro dotierten Preis der Jury erhielt. Renneisen, den man in Südhessen nicht mehr vorstellen muss, lieferte in seiner Dankes-Performance den hinreißenden Beleg dafür, dass mit Dialekt und Hochdeutsch bilingual aufwachsende Menschen eben doch die Klügeren sind.

Der mit 3500 Euro dotierte Künstlerpreis ging an das Fürther Sextett „Die Oigeborne“. Sie verquirlen Mutter- und Sprachwitz so rasant, dass sich das Foyer in Windeseile zur Partyzone wandelte. Was daran liegt, dass sie nicht nur Sprachkönner, sondern auch exzellente Musiker sind. Wer am Samstag die extrem gelungene Umdeutung von Stevie Wonders „Part Time Lover“ ins Odenwälderische verpasst hat: Am 5. Juli besteht auf dem Heinerfest bei der „Spirwes-Mussiggnachd“ Gelegenheit zum Nachholen. SPD-Landtagsabgeordneter Bijan Kaffenberger hatte als Laudator nicht zuviel versprochen, als er sagte: „Ihr seid alle richtig gut.“

Bleibt Fritz Deppert, den man in Darmstadt ebenfalls nicht mehr vorstellen muss. Er erhielt den mit 1000 Euro dotierten Ehrenpreis. In seiner bewegenden Ansprache erinnerte er an andere Zeiten auch des Heinerischen (siehe weiterer Text auf dieser Seite). Und versprach, mit dem Preisgeld und mit Gedichten das zu tun, was er seit seiner Jugend tut (und was der als Zugezogener des Darmstädterischen nicht mächtige Verfasser dieser Zeilen nur hochdeutsch schreiben kann): „dagegen halten“. Gegen Heimatvergessenheit, die sehr schnell zu Heimatlosigkeit führt. Und die es den Vereinfachern unserer Zeit wieder viel zu einfach macht, die Gesellschaft umzudeuten. Gegen diese Tendenzen gibt es ein nicht allmächtiges, aber durchaus wirksames – und wunderschönes – Gegenmittel: Sprache. Das und viel mehr hat der „Spirwes“ auch 2019 einmal mehr gezeigt.

Von Lars Hennemann