Jürgen Jokel hilft Familie Nadiri – eine von vielen Fluchtgeschichten der TV-Dokumentation. Foto: SWR
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MAINZ - Nach dem Zweiten Weltkrieg flohen 13 Millionen Deutsche – nach Deutschland. Sie kamen in ein Land, das in Trümmern lag. Kaum jemand hatte Lust, sich die Geschichten der Vertriebenen anzuhören. Das hat jetzt die Wiesbadener Fernsehjournalistin Natascha Walter (50) gemacht. Sie hat für den SWR „Fluchtgeschichten aus dem Südwesten“ zusammengetragen.
Flüchtlinge damals und heute unterscheiden sich, sagt Walter. „Heute kommen Menschen aus anderen Kulturkreisen, bringen eine andere Sprache mit.“ Obwohl: Als Deutsche aus dem Osten um Aufnahme baten, begegnete auch ihnen oft Misstrauen – der Sprache wegen. „Die, die im Westen gestrandet sind, redeten oft Hochdeutsch. Wer die Dialekte hier nicht einmal verstand, wurde abgelehnt.“ Schwierig wurde es auch, so die Autorin, „wenn Städter auf Landbevölkerung trafen. Wer nicht kräftig anpacken konnte, wurde als Faulenzer abgetan“. Allerdings waren alle, die damals kamen, Christen. „Aber entweder evangelisch oder katholisch – das trennte gewaltig.“
Der „Wilhelm Gustloff“ knapp entronnen
Walters dramatischste Geschichte ist die von Uwe-Karsten Heye, der in Mainz ohne Vater aufwächst. In Reichenberg im Sudetenland wird er als Sohn des Sängers Wolfgang Heye geboren. Mutter Ursula siedelt mit ihm und der älteren Schwester zu den Großeltern nach Danzig über. Vater Wolfgang, zur Wehrmacht eingezogen, desertiert. Er kommt ins Zuchthaus, später in ein Strafbataillon. Ursula Heye wird genötigt, sich scheiden zu lassen. „Das hat sie gemacht, nach vier glücklichen Ehejahren mit der Liebe ihres Lebens“, erzählt Walter.
Im Januar 1945 beschließt Ursula Heye, mit ihren Kindern Danzig zu verlassen. Die drei stehen auf der Passagierliste der „Wilhelm Gustloff“, besteigen den Truppentransporter aber nicht. Zum Glück – das Schiff wird von einem sowjetisches U-Boot versenkt. Mutter und Kinder hatten im letzten Augenblick erfahren: Da geht noch ein Zug. Der bringt sie zu Verwandten nach Rostock. Vater Wolfgang sucht nie nach ihnen – er glaubt, sie seien mit der „Gustloff“ untergegangen. Mutter Ursula vermutet indes, ihr Mann sei als Soldat gefallen.
In Rostock wird Ursula Heye vom neuen DDR-Regime gegängelt – sie will nicht in die SED eintreten. Sie plant neuerlich eine Flucht, mit Hilfe eines evangelischen Pfarrers. „Das ist eine ganz traurige Szenen im Film“, sagt Natascha Walter. „Die Kleinen werden als blinde Passagiere mit einem Kindertransport in den Westen geschickt.“ Uwe und seine Schwester Bärbel kommen fürs Erste in einem Kloster unter. Die Mutter schafft es mit Freundin Nora über die grüne Grenze im Harz. Im zerbombten Mainz finden die Frauen eine Wohnung. Dort sind jedoch Kinder nicht erwünscht – Uwe und Bärbel lebten daher in den Trümmern des Hauptbahnhofs.
Uwe Karsten Heye, das Vertriebenenkind, wird später zu einem der bekanntesten Journalisten des Landes – und zum wichtigen Mitarbeiter zweier Bundeskanzler: als Redenschreiber für Willy Brandt und Regierungssprecher unter Gerhard Schröder.
Und noch ein Schicksal: Friedhelm von Marwitz kommt aus einer einflussreichen Adelsfamilie. Die Eltern müssen ihr Schloss in Pommern hinter sich lassen, sie fliehen mit Pferden und Kutsche samt ihren fünf Kindern. Die Familie kommt bei befreundeten Winzern unter, der Familie Hütwohl in Steeg bei Bacharach. Friedhelms Vater muss sich vor einer Entnazifizierungs-Kommission verantworten. Später hilft er in der Eifel beim Aufbau des Genossenschaftswesens. Friedhelm will Forstwirtschaft studieren. Das Geld dafür spendiert ein Adliger aus dem Rheingau.