Sprache unter der Lupe: Nassauern – das machen doch immer nur die anderen...
Von Lutz Kuntzsch
( Foto: )
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
WIESBADEN - Zeigt man außerhalb des Rhein-Main-Gebiets seine Karte der Nassauischen Sparkasse, wird ab und an – verbunden mit einem leichten Lächeln – vermerkt: „Aha, die (alten) Nassauer!“ Ohne dass die Leute eine konkrete Vorstellung vom Hintergrund zu haben scheinen.
Aber woher kommt dann diese Reaktion mit dem Unterton des Schmarotzens oder etwas „für nass“, also umsonst zu bekommen? Historisch gesehen existierte das Herzogtum Nassau nur 60 Jahre lang, von 1806 bis 1866. Es lag auf dem Gebiet der heutigen Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz. Da Nassau zu arm war, um eine eigene Universität zu unterhalten, wurde nach dem 1817 geschlossenen Staatsvertrag zwischen dem Königreich Hannover und dem Herzogtum Nassau Göttingen zur nassauischen Landesuniversität gemacht. Für bedürftige Nassauische Landeskinder, die dort studierten, wurden Stipendien und vor allem Freitische für Mahlzeiten eingerichtet. Von Nassau bezahlt und so den echten Nassauern zur Verfügung gestellt. Schnell machte allerdings – eine strenge Ausweiskontrolle gab es wohl nicht – die Runde, dass man sich nur als Nassauer ausgeben musste, um an den Mittagstisch zum Nulltarif zu gelangen. Ein (nicht übliches) Verb „braunschweigern“ oder „hannovern“/“hannoveranern“ etwa wäre für das Verhalten der Personen aus den Städten treffender gewesen, denn eben nicht die Nassauer nassauerten, sondern andere lebten auf Kosten der nassauischen Landesfinanzen. Trotz dieses Widerspruchs steht Nassauer heute umgangssprachlich für einen Schmarotzer oder Parasiten, aber auch für einen Einwohner einer der über 50 Orte namens Nassau weltweit oder als Familienname. Ein schönes Beispiel dafür, welche Entwicklung ein Wort und seine Bedeutungen im Laufe der Jahrzehnte nehmen können – ob das nun immer gerecht ist oder nicht. Mit dem Wort nassauern bleibt in jedem Falle Historisches mit regionalem Bezug in der Sprache erhalten – und genaussauert wird sicher zu allen Zeiten.
SPRACHE UNTER DER LUPE
Welche (Sprach-)Geschichte haben Formulierungen, die plötzlich in dieser Zeitung und anderen Medien auftauchen? Und woher kommen bestimmte Begriffe, die in unserer Region gerade oder schon lange in aller Munde sind? Wie sind sie einzuordnen? In unserer neuen Kolumne „Unter der Lupe“ schauen sich Experten der in Wiesbaden ansässigen Gesellschaft für deutsche Sprache solche Begriffe einmal genauer an – oft vor einem aktuellen Hintergrund. Auch Ihnen ist ein Wort aufgefallen, das Sie gerne einmal erläutert hätten? Dann senden Sie doch eine E-Mail an lupe@gfds.de.