„Simon Boccanegra“ in Mainz gefeiert

Eine Lichtgestalt: Vida Mikneviciute als Amelia Grimaldi in Verdis „Simon Boccanegra“ am Staatstheater Mainz. Foto: Andreas Etter

Verdi-Oper begeistert in der Inszenierung von Frank Hilbrich und unter der Stabführung von Daniel Montané am Staatstheater. Das Wasser wird auf der Bühne zum szenischen Leitmotiv.

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MAINZ. Das Meer spielt mit. Schließlich sind wir in Genua, an Liguriens Gestaden. Das Meer spielt auch im Orchestergraben des Mainzer Staatstheaters mit: Der Dirigent Daniel Montané lässt im Vorspiel zum 1. Akt die Meeresstimmung impressionistisch flimmern – bevor die stürmischen Gefühle in Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ entfesselt werden und die emotionalen Wellen so hochschlagen, dass auch mal ein Stuhl zum Wurfgeschoss wird oder ein Wutbürger-Chor dem Volkszorn Luft macht. Die Gegenwart ist dabei in Frank Hilbrichs Inszenierung in Kostümen präsent, aber nicht in platten Analogien.

Wenn Persönliches auf Politisches trifft

Persönliches trifft sich mit Politischem in dieser Oper, die Verdi ein Vierteljahrhundert nach dem Uraufführungs-Misserfolg von 1857 umgearbeitet und an Mailands Scala 1881 in einer überarbeiteten Fassung neu herausgebracht hat. Trotzdem steht „Simon Boccanegra“ seitdem im Schatten von „Rigoletto“, „La Traviata“ und „Il Trovatore“ auf der einen und den großen Spätwerken „Otello“ und „Falstaff“ auf der anderen Seite. Dass das eigentlich nicht ganz nachvollziehbar ist, denkt man nach dieser dramatisch fesselnden, von Daniel Montané leidenschaftlich vorangetriebenen Interpretation, bei der das Mainzer Staatstheater auf ein packend spielendes Ensemble zurückgreifen kann. Dessen vokale Qualitäten würde man eher an einer der großen Opernbühnen vermuten. Derrick Ballard ist als Jacopo Fiesco eine fesselnde Naturgewalt, Vida Mikneviciute als Amelia ein Fräuleinwunder, eine Lichtgestalt in der Männergesellschaft finsterer Anzugträger: zwischen Piano-Sensibilität und Passion der Liebenden im Duett mit Abdellah Lasris großformatigem Gabriele Adorno.

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Ein Moment, in dem persönliches Leid vom politischen Geschehen förmlich aufgesogen wird, prägt sich als besonders suggestiv ein: Der Plebejer und Ex-Pirat Simon entdeckt im Palast des Jacopo Fiesco seine tote Geliebte Maria. Fiesco hatte seine Tochter weggeschlossen: Die Verbindung mit Simon, aus der schon eine nun verschwundene Tochter hervorgegangen war, ist nicht standesgemäß. In Hilbrichs Inszenierung, der Volker Thiele (Ausstattung) einen Rahmen mit Büro-Anmutung in düsteren Grautönen geschaffen hat, entdeckt Simon seine tote Geliebte in einem Wasserbecken, in dem sie wie Shakespeares Ophelia treibt. Und genau in diesem Moment wird der Emporkömmling Boccanegra zum Dogen ausgerufen. Fabelhaft, wie mit diesem Becken und der Projektion seiner bewegten Wasseroberfläche über der Bühne dem feuchten Element als szenischem Leitmotiv Präsenz verschafft wird! Manchmal glaubt man geradezu, in ein Videokunstwerk von Bill Viola zu blicken. Etwa ganz am Anfang, wenn die Genuesen ihren Durst am Becken löschen und, als wären sie an der Quelle in Lourdes, etwas vom segensreichen Nass mitnehmen. Den Zeitsprung von 25 Jahren zwischen Prolog und 1. Akt muss das Becken unter einer Plastikplane verbringen: Amelia, die Tochter von Ophelia-Maria, ist zu einer jungen Frau herangewachsen und wird in Simon ihren Vater erkennen. Das Schicksal, den fiesen Höfling Paolo heiraten zu müssen, bleibt ihr nun erspart: Stephan Bootz gibt diesen Intriganten, der Simon am Ende vergiften wird, als auch vokal wendigen Bürokraten mit Brille.

Selbst den Hosen sieht man den Zeitsprung an

Die flotten, jugendlichen Hosen des Prologs trägt der Doge nun längst nicht mehr. Aber nicht nur seiner Kostümierung ist der Zeitsprung von 25 Jahren zu entnehmen. Sogar stimmlich erscheint Peter Felix Bauer in der Titelpartie nun hörbar gereift, legt sozusagen ein paar Jahresringe zu, um das Format der Partie als profunder Sängerdarsteller füllen zu können. Eine hinreißende, mitreißende Gesamtleistung. Das scheint das begeistert applaudierende Publikum ähnlich zu empfinden.